Lange hat es gedauert. Und ganz freiwillig wirkt auch das jetzige Engagement nicht: Der Kölner Großverlag M. DuMont Schauberg (MDS) will nun endlich seine Geschichte in der Nazizeit »differenziert« aufarbeiten lassen. Auserkoren für dieses Unterfangen hat das Familienunternehmen den Frankfurter Wirtschaftshistoriker Manfred Pohl. Der 62-jährige geschäftsführende Vorsitzende des Historischen Instituts der Deutschen Bank und Honorarprofessor an der Uni Frankfurt sei ein Wissenschaftler, »dessen Unabhängigkeit und Integrität durch zahlreiche Veröffentlichungen und Forschungsprojekte unangefochten ist«, verkündete Ende Mai der Medienkonzern, zu dessen Portfolio unter anderem die Zeitungstitel Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express und Mitteldeutsche Zeitung zählen.
Die Berufung Pohls ist allerdings nur eine Reaktion auf die immer lauter werdende Kritik an dem bisherigen Umgang von MDS mit der eigenen, nicht gerade unbefleckten Vergangenheit. Die andere bekommen in diesen Tagen zahlreiche Journalisten und Zeitschriftenherausgeber zu spüren. Sie sehen sich juristischen Sanktionen ausgesetzt, weil sie es gewagt haben, mit despektierlichen Berichten die »Ehre« der Familie des Seniorchefs Alfred Neven DuMont zu beflecken. Laut Auskunft von MDS, dessen Aufsichtsratschef der 78-Jährige ist, sind insgesamt »inzwischen etwa ein Dutzend einstweilige Verfügungen gegen verschiedene Medien und Personen erlassen worden«.
Betroffen sind unter anderem der Spiegel, die FAZ, die Bild-Zeitung und der journalist des Deutschen Journalisten-Verbandes. Ebenso Ärger haben auch Albrecht Kieser vom in Köln ansässigen Rheinischen JournalistInnenbüro und der frühere Kölner Stadt-Anzeiger-Redakteur Peter Kleinert, die in dem kleinen Online-Magazin Neue Rheinische Zeitung einen Artikel unter dem - inkriminierten - Titel »Kein ›Widerstand‹, sondern Arisierungs-Profite« veröffentlicht hatten. Ihr Widerspruch gegen die gegen sie verhängte Verfügung war der erste, über den die Pressekammer des Kölner Landgerichts zu befinden hatte. Mitte Mai entschieden die Richter - zugunsten von Alfred Neven DuMont. Doch der Streit, um den es geht, hat sich auch durch dieses Urteil nicht entscheiden lassen. Denn er ist kein Fall des Presserechts: Es geht um die schwierige Suche nach historischer Wahrheit.
Ingo Niebel hat versucht, es Anfang März in der FAZ zu erklären: »Geschichtsklitterung ist die Stiefschwester der Geschichtswissenschaft. Letztere sucht Antworten auf Forschungsfragen zu geben, während der ersteren die Antworten vorliegen, für die sie sich die dazu passenden Fragen ausdenkt. So kann eine tiefe Kluft entstehen zwischen einem lang gehegten Geschichtsbild und den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung.« Niebel ist der Ausgangspunkt jener Berichte, gegen die die Neven DuMonts gegenwärtig zu Felde ziehen. Der Kölner Journalist und Historiker - auch er mit mehreren einstweiligen Verfügungen überzogen - hatte Grundstücksgeschäften der Neven DuMonts in der Nazi-Zeit nachgespürt. Die Quintessenz seiner Recherchen brachte anschließend der Spiegel auf den Punkt: Die traditionsreiche Verlegerfamilie inszeniere sich »gern als Opfer der Nazis«, habe tatsächlich jedoch »zu den Profiteuren der ›Arisierungen‹« gehört.
Ein Vorwurf, den das Verlagshaus empört zurückweist und gegen den der Firmenpatriarch mit aller Macht juristisch vorgeht. Seine Hausanwälte von der renommierten Kanzlei Linklaters Oppenhoff & Rädler schreiben in ihren Schriftsätzen im Verfahren gegen Kieser und Kleinert von einer »Kampagne«, bei der es nicht um Information, sondern »einzig und allein darum« gehe, Alfred Neven DuMont »niederzuschreiben«. Denn dieser sei der Gegenseite ein »verhasstes Subjekt«. Niebels Arbeit sei ohnehin völlig unseriös: »An diesen ›historischen Forschungen‹ ist kein einziges Wort wahr.« Niebel sei nur ein »Pseudo-Historiker«.
Dabei ist der Kern seiner Recherchen unstrittig. Tatsächlich erwarben die Neven DuMonts und die Versorgungskasse des Verlags ab 1938 mehrere Grundstücke, die sich zu Beginn der Nazi-Barbarei noch in jüdischem Besitz befunden hatten. Tatsache ist auch, dass diese Grundstücke nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst von den Alliierten mit einem Sperrvermerk versehen worden waren. An der Interpretation dieser Fakten scheiden sich jedoch die Geister. Das liegt nicht zuletzt an der Frage, was unter dem Begriff »Arisierung« zu verstehen ist. Unter Berufung auf die anerkannte Bonner Historikerin Britta Bopf versteht Niebel darunter »einen Prozess mit unterschiedlichen Phasen und Arten der Ausplünderung zwischen 1933 und 1941/45«. So seien bereits vor der ab 1938 gesetzlich forcierten »Arisierung« jüdische Bürger in finanzielle Notlagen gebracht worden, die es verhinderten, dass überhaupt noch Geschäfte auf Augenhöhe zwischen Nicht-Juden und Juden stattfinden konnten.
Die Anwälte Neven DuMonts argumentieren demgegenüber, es käme »nicht darauf an, wie der Begriff ›Arisierung‹ unter Umständen möglicherweise in der Wissenschaft verwendet wird«. In einer presserechtlichen Auseinandersetzung sei vielmehr »alleine entscheidend, wie ein unvoreingenommener Durchschnittsleser den Begriff bzw. den Presseartikel versteht«. Dabei gehen sie von einer Beschränkung des Begriffs »Arisierung« auf staatliche Repressionsmaßnahmen aus, wie die der Zwangsenteignung. Danach habe es sehr wohl im privatrechtlichen Bereich »normale« Käufe geben können. Dazu zählten auch diejenigen der Neven DuMonts, auch wenn dabei, wie in einem Fall geschehen, ein staatlich eingesetzter »Abwesenheitspfleger« anstelle des geflohenen jüdischen Eigentümers den Verkauf tätigte: »Es muss allerdings mit Nichtwissen bestritten werden, dass der eingesetzte Abwesenheitspfleger nicht die Interessen des Herrn Ottenheimer wahrgenommen hat.«
Eine Sichtweise, die Eberhard Reinecke, der Anwalt Kleinerts und Kiesers als auch Niebels, für skandalös hält: »Überhaupt daran zu zweifeln, dass ein solcher Pfleger nur und ausschließlich der Verfolgung von Juden diente, ist absurd«, so Reinecke in seiner schriftlichen Erwiderung. Keine vom nationalsozialistischen Staat in eine solch lukrative Position eingesetzte Person habe die Interessen ausgewanderter Juden wahrgenommen: »Das wird im Übrigen auch dadurch belegt, dass offensichtlich niemals versucht worden ist, den Kaufpreis dem Eigentümer zukommen zu lassen.«
Als vor drei Jahren die MDS-Publikation »Köln unterm Hakenkreuz« erschien, schrieb Alfred Neven DuMont in seinem Geleitwort, dies sei »ein Buch gegen das Vergessen und - vielleicht schlimmer noch - das Verdrängen, das seinerseits Törichtes, wenn nicht gar Schlimmeres gebiert«. Sein Kölner Stadt-Anzeiger trägt seit 1962 den Untertitel der mit dem Hitler-Regime untergegangenen, einst nationalliberalen Kölnischen Zeitung. Mit ihr hatte der Verlag sogar noch aus dem deutschen Angriffskrieg Kapital schlagen können: Die Kölnische gehörte zu den wenigen Zeitungen, die die Propagandaabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) für derartig linientreu hielt, dass sie sie den Frontsoldaten zukommen ließ. In einer 1969 erschienenen Verlagschronik heißt es dazu: »Das OKW war nicht nur ein sicherer Zahler, sondern auch ein bequemer Abonnent: Vertrieb und Versand gingen zu seinen Lasten.« Weiter ist dort zu lesen: »Solche Umstände haben - von der moralischen Widerstandskraft der Verleger und ihrer Mitarbeiter ganz abgesehen - dazu beigetragen, dass die Kölnische Zeitung und der Stadt-Anzeiger noch bis kurz vor dem Einmarsch der Alliierten herausgebracht werden konnten.«
Moralische Widerstandskraft? Tatsächlich hatte Alfred Neven DuMonts Vater Kurt, der damalige MDS-Chef, seine Zeitungen für nationalsozialistische Hetzpropaganda hergegeben, und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Verlag ein publizistischer Erfüllungsgehilfe der Nazis war. So erscheint denn auch Kurt Neven DuMont, der am 1. Mai 1937 der NSDAP beitrat, vor allem als ein Musterbeispiel für das Versagen des liberalen Bürgertums vor der Herausforderung der Nazidiktatur. Dass er gleichwohl seinerzeit versucht hat, Menschen zu schützen, und auch Menschenleben gerettet hat, wie das der »nicht arischen« Mutter der heutigen Grünen-Politikerin Anne Lütkes - das bleibt sein großes Verdienst. Und ist doch eben leider nur die halbe Wahrheit.
Aber im heutigen Verlagsflagschiff Kölner Stadt-Anzeiger sucht man eine selbstkritische Aufarbeitung bislang vergebens. Erst wenn sich das ändert, wird sich Alfred Neven DuMont und sein Verlagshaus nicht mehr dem Verdacht ausgesetzt sehen müssen, mit juristischen Mitteln einfach nur unbequeme Kritiker mundtot machen zu wollen.
Pascal Beucker ist Inlandskorrespondent der tageszeitung (taz). Wolfgang Jorzik ist freier Journalist und arbeitet vorrangig für den WDR. Beide leben in Köln.