Eigentlich ist es ja nur ein Tagebuch. Aber der Verfasser fand, Kara Günlük - Die geheimen Tagebücher des Sesperado klinge irgendwie cooler. Überhaupt ist der Sesperado ein cooler Typ: gut aussehend, subversiv und nie um eine schlagfertige Antwort verlegen. Das Wort ist die wichtigste Waffe des selbsternannten Superhelden aus Mutlu Ergüns Roman. Denn der Sesperado ist ein »Lyrical Guerrilla«. Seine Mission: Die Revolution of Color, in der sich alle People of Color, also Nicht-Weiße, vereinen im Kampf gegen weiße Dominanzstrukturen. Und die steht in gerade mal 100 Tagen bevor. Die Kampfstrategien des Sesperado sind ungewöhnlich, aber äußerst wirksam: Er ist ein »revolutionärer Streber«. Malcolm X oder Angela Davis zitiert er aus dem Stegreif, die KlassikerInnen der Postkolonialen Studien kennt er auswendig. So dekonstruiert er mal genüsslich, mal mit viel Wut im Bauch die Klischees und sozialen Konstruktionen seiner unreflektierten weißen wie nicht-weißen Mitmenschen. Wo das nichts nützt, greift er entweder zu purer Polemik oder zur Schocktherapie. So wird die Vorlesung an der Uni zur Plattform für Revolutionsparolen und die Bundeswehrmusterung zur Splattershow. Und sollte auch das nicht helfen, holt der Sesperado halt seine drei toughen Teyzes, seine Tanten zur Verstärkung. Das Ergebnis ist gelungene antirasstische Satire, denn Kara Günlük, zu deutsch Das dunkle Tagebuch, ist unterhaltsam und intelligent zugleich. Mutlu Ergün präsentiert hier einen Knigge der verbalen antirassistischen Kriegsführung und führt die LeserInnen ein in das, was der Sesperado »kritische Weißseins-Studien« nennt. Bei aller Selbstüberschätzung des Protagonisten lässt Ergün die LeserInnen aber auch dessen Schmerz und Enttäuschung spüren, die sich hinter dieser Oberfläche verbergen. Umso sympathischer und notwendiger erscheinen seine Wege zur Selbstermächtigung, so radikal oder abwegig und manchmal schlichtweg genial sie auch sein mögen.