Daß die Welt ein antisemitischer Ort ist, liegt, sagt der Antisemit, an den Juden. Und was er da ausnahmsweise hat, ist: recht. Tatsächlich resultiert sein allgegenwärtiger Haß aus der erlebten Überlegenheit seines durch Jahrtausende unfreiwilliger Welterfahrung zur geistigen und materiellen Elite erwachsenen Feindes. Das hört der Antisemit aber gar nicht gern. Und so versucht er - wie Abgeordnete der Union im November 2003 anläßlich des Falls ihres Kollegen Martin Hohmann -, den Antisemitismus als »Ausdruck eines Minderwertigkeitskomplexes« herunterzuspielen. Es ist aber kein Komplex, keine Fehlleistung, Neurose oder Zwangsvorstellung, es ist wirkliche, historisch erworbene Minderwertigkeit, die ja der Antisemit wie selbstverständlich anerkennt, wenn er, ohne Auftrag vertreten durch seine Hisbollah, verlangt, Israel solle die zwei entführten Soldaten für eine Vielzahl arabischer Kämpfer austauschen. Vor zwei Jahren bezifferte Scheich Nasrallah den Wert von 435 seiner Gotteskrieger auf den eines jüdischen Geschäftsmanns und der Leichen dreier israelischer Soldaten.
Der Antisemit, sagt Sartre, will den Tod des Juden. Der arabische Antisemit will ihn hier und jetzt. Mancher mag, wenn er ein Geschäft wittert, die Entschärfung oder gar Streichung dieses Programmpunkts sich abhandeln lassen - es geschieht stets mit dem Augenzwinkern: nicht so gemeint. Die Liquidierung Israels stand auf dem Programm der PLO, sie steht auf dem Programm der Hamas, des Djihad und der Hisbollah, ja sie ist ihr idealer Lebenszweck. Die iranischen Sponsoren ihres Terrors wiederholen es täglich: »Wir hatten das ja schon immer gesagt, dem zionistischen Regime kann man nicht trauen, und weder Roadmap noch Anerkennung Israels können zu einem gerechten und anhaltenden Frieden führen… Israel war, ist und bleibt ein Krebstumor in der Region.« Der jüngste Konflikt sei »ein Verzweiflungsakt der Zionisten, deren verfaultes und geschwächtes Regime am Rande des Zusammenbruchs steht… Die erneuten zionistischen Verbrechen haben bewiesen, daß der Widerstand dieser Gruppen (Hamas, Djihad und Hisbollah) der einzige Weg zum endgültigen Sieg ist.«
Der Krieg, dessen jüngste Schlacht gerade begonnen hat, war mit der Gründung des Staates Israel erklärt. Er ist mit der Wende der Weltpolitik, die den Paten der arabischen Sache, der auch ihr Vormund war, frühpensioniert hat, an allen Fronten ausgebrochen. Ob es ihn führen will, ist Israel nicht gefragt, nur, wie es ihn führen kann. Es hat sich bei israelischen Politikern die Ansicht durchgesetzt, daß die Juden nur dann in ihrem Staat in Sicherheit seien, wenn sie auf dem Flecken Wüste am Rand des Osmanischen Reichs und des britischen Mandatsgebiets, das die Vereinten Nationen ihnen nach dem Holocaust als Staatsgebiet zugewiesen und das sie durch eigene Tüchtigkeit und mit Hilfe der USA zu einer Oase gemacht haben, für sich blieben, geschützt durch einen Zaun vor jenen, die - dem Gesäusel mancher ihrer Diplomaten zum Trotz - nichts sehnlicher wünschen als der Juden Tod.
So schwer es dem Freund des Friedens fallen mag, das zu begreifen: Israel führt nicht Krieg, wie die Deutschen ihre Kriege geführt haben und führen, nicht um Raum für ihr Volk ohne Raum, um den Zugriff auf Rohstoffe oder um weltpolitische Bedeutung. Israel führt Krieg, um den Juden, die der Haß der Völker nach Palästina getrieben hat, endlich ein Leben in Sicherheit zu bieten. Die Juden versuchen nicht, andere unter ihre Herrschaft zu zwingen oder zu ihrem Gott zu bekehren. Sie versuchen, sich zu retten. Ob ihre Regierung das immer auf die vernünftigste Weise tut, mag bezweifelt werden. Welche Regierung täte das?
Israel, heißt es zwischen Paris und Moskau, habe zwar das Recht, sich zu verteidigen, reagiere aber überzogen und ohne Rücksicht auf unschuldige Zivilisten. Welche Reaktion auf Angreifer, die mit den Juden verfahren wollen wie der Chirurg mit dem Tumor, halten die Herren Chirac und Putin wohl für angemessen? Tatsächlich sind gestern allein 43 Libanesen ums Leben gekommen, an einem Tag, an dem muslimische Gotteskrieger in dem irakischen Flecken Mahmudija 56 muslimische Marktbesucher ermordet haben. Tage zuvor hatten in Bombay andere muslimische Kämpfer in einer Minute 182 Menschen getötet - Taten, von denen die Regierungen in Paris, Berlin und Moskau so wenig Aufhebens machen, dass man meinen könnte, sie hielten die Opfer nicht für Menschen.
Nie vergessen Nachrichtensprecher den Hinweis, es seien Zivilisten gewesen, die durch israelische Waffen getötet wurden. Jeder tote Zivilist verdient Trauer. Immerhin könnte bedacht werden, daß die Leute von der Hamas, der Hisbollah, vom Djihad und den Al-Aksa-Brigaden, bis zu dem Augenblick, da sie den Sprenggürtel zünden, um eine jüdische Hochzeitsgesellschaft in Blut zu ersäufen, unschuldige Zivilisten sind, Jugendliche, Abiturienten, Schüler und, erwischt sie eine Kugel vor ihrer Tat, in den Nachrichten fast noch Kinder. Nur selten wagen sich die Gotteskrieger an israelische Militärpersonen, es ist nicht der Soldat, den sie töten wollen, es ist der Jude. Auch die israelische Armee tötet leider Zivilisten, aber nicht weil sie Araber töten will, sondern weil Allahs Helden sich am liebsten hinter ihren Frauen und Kindern verstecken.
Mit Israels Krieg beginnt eine neue Zeit. Der Plan, den Staat der Juden durch seinen Rückzug erst aus dem Süden des Libanon, dann aus Gaza und der Westbank von seinen Feinden zu separieren, sich hinter einem Zaun in Sicherheit zu bringen und die Palästinenser mit sich allein zu lassen, konnte nur gelingen, wenn der Feind nicht über Waffen verfügte, über die Grenze hinweg zuzuschlagen. Nun hat sich gezeigt, daß in Gaza große Mengen Granaten bereitliegen, mit denen israelische Dörfer angegriffen werden, und daß die Hisbollah vom Iran mit Raketen aufgerüstet wurde, die Jerusalem treffen können. Und nicht nur die großen Töne, die Ahmadinedjad und Nasrallah spucken, sondern Fortschritt der Technik und Skrupellosigkeit des Waffenhandels lassen befürchten, daß bald jede antisemitische Zelle in der Umgebung sich in den Besitz gefährlichster Waffen bringen kann.
Das Ziel des Kriegs, den Israel jetzt führt, ist deshalb die dauerhafte Entwaffnung derjenigen seiner Feinde, die nicht als Staaten handeln und zur Verantwortung gezogen werden können. Dieser Krieg, der lange dauern und mit sehr wechselndem Einsatz geführt werden kann, endet entweder - und im besten Fall - mit der vollständigen Entwaffnung von Hamas, Djihad, Al-Aksa-Brigaden und Hisbollah, bis zu welcher die Räumung der Westbank aufgeschoben wird, oder mit einem ganz anderen Krieg, in dem Israel jene Staaten, die eine zweite »Endlösung der Judenfrage« betreiben, Syrien und den Iran allen voran, mit jeder Waffe angriffe, die ihm zu Gebote steht. Oder aber, Kriege können auch verlorengehen, mit Israels Untergang und also dem einer etwas besseren Welt.
Der Artikel erschien zuerst in der Augustausgabe der Zeitschrift Konkret.