»Dass ich hier in einer Wohnung mit Männern wohne, ist jenseits der Vorstellungskraft. Dass es nicht Sodom und Gomorrha ist. Viele Dinge konnte ich einfach nicht erzählen«, berichtet Ayla (Name geändert) vom ersten Zusammentreffen mit Familienmitgliedern in Afghanistan. Die Kölner Studentin war mit 22 zum ersten Mal in dem Land, aus dem ihre Eltern ein Jahr vor ihrer Geburt geflohen waren. Sie ist in Deutschland geboren und aufgewachsen.
Seit Mai dieses Jahres bietet das Migration-Audio-Archiv (MAA) hundert Interviews mit Menschen, die wie Ayla einen Migrationshintergrund haben, online zum Hören an. »Man muss die Geschichte der Bundesrepublik von der Peripherie her erzählen«, sagt die Initiatorin des Projekts, die Historikerin Sefa Inci Suvak. Sie ist verärgert darüber, dass in den deutschen Medien oft über Menschen ausländischer Abstammung berichtet wird, sie selbst aber selten zu Wort kommen. Das will das MAA ändern. Die Befragten sind dabei keineswegs nur aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen. Manche kamen zum Studium nach Deutschland, andere aus Abenteuerlust oder weil ein Teil ihrer Familie bereits hier lebte. Ebenso unterschiedlich sind die Interviews ausgefallen. »Die Akademiker hatten oft Sendungsbewusstsein«, sagt Suvak. »Andere wollten nur ihre Geschichte erzählen.«
Im November wird die Sammlung um acht Interviews ergänzt, die Kölner Ethnologie-Studierende geführt haben. Sie entstanden in einem Seminar zum Thema Oral History, das die Universität gemeinsam mit dem MAA veranstaltet hat. »Wir wollen zeigen, dass Migration etwas Normales ist. Die Interviews sind fern von Problematisieren und Integrationsdiskurs«, sagt die Studentin Kathrin Ohlmann, die das Interview mit Ayla aufgenommen hat. »Es war mehr Spannung da als bei einem normalen Gespräch, weil es so persönlich war«, beschreibt sie die Situation bei der Aufnahme. Aus diesem Grund will Ayla anonym bleiben, ebenso wie einige andere Befragte.
Abasin Shinwari, dessen Familie ebenfalls aus Afghanistan stammt, hat diese Bedenken nicht. Der Seminarteilnehmer Andreas Dahmen sprach mit ihm über den Generationenkonflikt zwischen ihm und seinen Eltern, und auch darüber, wie er in Deutschland die Zeit nach dem 11. September 2001 erlebt hat. »Wenn er erzählt hat, dass er aus Afghanistan kommt, haben ihn viele Leute komisch angeguckt«, sagt Dahmen.
Eine Besonderheit der Interviews ist, dass der Erzählfluss nicht durch Fragen unterbrochen wird. Fünf bis sieben Minuten lang erzählt nur die interviewte Person. »Es war schwierig, alles in dieser Kürze darzustellen«, sagt Dahmen. »Es soll natürlich lebendig sein.« Ihre GesprächspartnerInnen haben die Studierenden zum Großteil in ihrem Bekanntenumfeld gefunden. Allen sei schnell jemand eingefallen, mit dem man reden könne, sagt Ohlmann. Auch Sefa Inci Suvak hat die Menschen für ihre Interviews zunächst in ihrem Bekanntenkreis gefunden. Nach und nach hätten sich aber viele von selbst gemeldet, die ihre Geschichte erzählen wollten. »Migration hat es im-mer gegeben«, sagt Suvak. Und um sie auch weiterhin zu dokumentieren, plant sie bereits weitere Interviews.