Nicht immer still und heilig

Dafür und dagegen V: Weihnachten mit der Familie feiern - ja oder nein? Von Julia Groth, Lars Strojny

dafür

An Weihnachten ist die bürgerliche Gesellschaft darauf programmiert, Glück verspüren zu wollen: Konsum, Geschenke, gutes Essen, feine Spirituosen und Weine und ein paar ruhige Tage. Im Kreise der Familie verschwinden die Unterschiede hinter der gemeinsamen Anstrengung, ein paar Tage gut miteinander auszukommen - man sieht sich ja sonst nicht so oft.

Auch der mürrische Nachbar lässt seine gefühlte Lärmbelästigung mal Lärmbelästigung sein - es ist ja Weihnachten. Der Müll muss einmal nicht ordentlich getrennt werden, die Papiertonne ist schließlich schon mit Geschenkpapier gefüllt - es ist ja Weihnachten. Wie der Schnee Geräusche schluckt, so zivilisiert die geplante Glückseligkeit ihre TeilnehmerInnen. Aber eben nur diese: Dass vom schönen Spiel die Hälfte ausgeschlossen ist, ist ein wichtiger Einwand. Trotzdem geht er am Kern der Sache vorbei - Kapitalismus ist leider kein Ponyhof.

Das populärste linke Ressentiment gegen Weihnachten ist ein Ausflug mit Captain Obvious. An Weihnachten wird konsumiert, und Konsum ist ja böse - wegen der Konzerne und so. Die Schnoddrigkeit der Wiedergabe entspricht dem Argument selbst: Schwanz und Hund werden vertauscht, Produktion und Produktionsbedingungen verwechselt.

Natürlich ist Familie auch immer mit einem gängelnden Moment verbunden, das Karl Kraus mit seiner Anmerkung, dass das Wort »Familienbande« einen Beigeschmack von Wahrheit in sich trage, so schön entlarvte. Doch diese Erkenntnis verblasst hinter dem Einwand, dass man sich an Weihnachten nicht streitet. Und so ist Weihnachten trotz allem eine schöne Institution, mit gutem Essen und Geschenken. Eben dem, wofür der Alltag wenig Platz lässt.

Lars Strojny

dagegen

Unter all den christlichen Festen, die übers Jahr gefeiert werden, hat Weihnachten eine Sonderstellung inne - als das Fest, das am meisten nervt. Wer lässt sich schon wegen Ostern stressen? Wer wird an Pfingsten melancholisch? Weihnachten aber, mit seinen exzessiven Familienfeiern, treibt oft diejenigen in den Wahnsinn, die an den Feiern teilnehmen. Und die, die keine Familie haben, bringt es nicht selten zu depressivem Vor-dem-Fernseher-Versacken. Das größere der beiden Übel sind meist die Familienfeiern.

Das Problem an Familienweihnachten ist altbekannt: Menschen, die sich nicht zwangsläufig gut verstehen, tun so, als hätten sie sich das ganze Jahr lang nichts sehnlicher gewünscht, als Zeit miteinander zu verbringen. Wer sich nicht der allgemeinen Hochstimmung anschließt, läuft Gefahr, als Störenfried gebrandmarkt und entsprechend behandelt zu werden. So weit, schlechter Laune mit Geduld und Freundlichkeit zu begegnen, reicht der Geist der Weihnacht meist doch nicht.

Oft wird dem Karneval vorgeworfen, ein Fest zu sein, das zu Heiterkeit und gemeinsamen Saufgelagen verpflichtet, dazu quasi zwangsrekrutiert. Was den Zwang zum Feiern angeht, läuft Weihnachten Karneval aber mühelos den Rang ab. An Karneval nimmt es einem niemand übel, wenn man sich davonschleicht, statt mitzuschunkeln. Das ist dann eben eine Geschmacksfrage. Wer allerdings ähnliches an Weihnachten versucht, wird schnell feststellen, dass ein solches Verhalten nicht als höflicher Rückzug gewertet wird, sondern als heimtückischer Anschlag auf das Familienglück. Weihnachten ist das Fest mit dem größten Feierzwang überhaupt, das rücksichtsloseste Fest des Jahres. Und schuld daran ist die fragwürdige, aber von vielen eisern verteidigte Tradition der Familien-Weihnachtsfeier.

Julia Groth