Der Mai des Jahres 1968 war ein denkwürdiger Monat für die Universität in Oslo. Bis dato unbekannte Dinge geschahen: Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der linken Studierendenfraktion die Wahl zum Vorsitzenden von Oslos größter Studierendenorganisation. Einige Tage später schritt bei einer Versammlung ein Student zum Rednerpult und verkündete feierlich, dass vor genau 150 Jahren Karl Marx geboren wurde. Ein großer Teil der anwesenden Studierenden stand daraufhin auf und sang die »Internationale«.
Nicht nur an der Universität und nicht erst seit 1968 versetzten in Norwegen politische und gesellschaftliche Ereignisse die konservativen BürgerInnen in Aufregung. Von Mitte der Sechziger- bis Mitte der Siebzigerjahre revoltierten in dem skandinavischen Land viele, die daran glaubten, dass eine bessere Gesellschaft möglich sei. SchülerInnen gründeten ein antiautoritäres Versuchsgymnasium, das noch vor seiner Eröffnung die konservative LehrerInnenvereinigung Oslos auf die Barrikaden brachte. Hippies kampierten im Park vor dem Parlamentsgebäude und sahen sich den Anfeindungen der PassantInnen ausgesetzt. Jugendliche besetzten ein leer stehendes Haus in der Osloer Innenstadt und funktionierten es zum autonomen Zentrum um. In Norwegen ist vor etwa vierzig Jahren viel passiert, das - wie auch in Deutschland - nachträglich unter dem Schlagwort »Achtundsechzig« zusammengefasst wurde. Im Gegensatz zum deutschen oder französischen 1968 fanden diese Geschehnisse aber auch zum diesjährigen Jubiläum kaum Aufmerksamkeit außerhalb Skandinaviens.
Viele Menschen glauben, dass es in Norwegen, einem Land, das schon damals auf dem besten Weg zu allgemeinem Wohlstand war, 1968 keinen Grund für politische Proteste gab. Aber auch ohne Altnazis in der Regierung, wie in Deutschland, herrschte im sozialdemokratischen Norwegen ein gesellschaftliches Klima, das vielen jungen Menschen die Luft zum Atmen nahm. Frauen sollten am Herd bleiben, und wer als Mann lange Haare hatte, bekam oft Probleme.
Möglicherweise fanden die norwegischen AchtundsechzigerInnen weniger internationales Gehör als ihre südlicheren GenossInnen, weil es in Norwegen alles in allem friedlich blieb. »Wenn alle Demonstrationen so ruhig und ordentlich vonstatten gehen könnten wie diese, wäre das erfreulich«, sagte ein Polizist der liberalen Tageszeitung Dagbladet nach einer nicht gestatteten Demonstration im Jahr 1968 auf dem Osloer Campus. »Sie glich überhaupt nicht den Studentendemonstrationen in anderen Ländern.« Zuvor hatten viele norwegische Zeitungen davor gewarnt, dass trotz Verbotes stattfindende Demonstrationen zu »ausländischen Zuständen« wie in Paris oder Berlin führen könnten.
Einige der schlimmsten Befürchtungen der konservativen Öffentlichkeit Norwegens bestätigten sich erst zu Beginn der Siebzigerjahre. Zu dieser Zeit entdeckten große Teile der norwegischen Jugend Mao und Stalin für sich. Die einst eher anarchistisch geprägte Achtundsechziger-Bewegung mündete in die autoritär geführte marxistisch-leninistische Partei »Arbeidernes kommunistparti«. Heute sind die meisten der einstigen Streitigkeiten jedoch vergeben und vergessen. Die Alt-AchtundsechzigerInnen sind längst im Establishment angekommen: Viele von ihnen sind heute ProfessorInnen an der Universität.