Das Kölner Arbeitsgericht liegt in Sichtweite des Südstadions. Wehmütig erinnern sich die Älteren an jene legendären Tage, als in der mittlerweile stark renovierungsbedürftigen Fußballarena noch Fortuna Köln vom Aufstieg in die Bundesliga träumte. Auch die »Gewerkschaft der Neuen Briefund Zustelldienste« (GNBZ) hatte ganz oben mitspielen wollen: in einer Liga mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Jetzt geht es um den Abstieg. Denn das Arbeitsgericht, vor dem sich die GNBZ kürzlich zu verantworten hatte, musste sich mit einem handfesten Skandal beschäftigen: dem Versuch von Arbeitgebern, sich eine wohlgefällige Arbeitnehmervertretung zu schaffen. Der Bluff ist aufgeflogen.
Bereits seit dem offiziellen Start der dubiosen Konkurrenz im September 2007 hegte Verdi den Verdacht, dass es sich bei der GNBZ um eine »arbeitgeberseitig gesteuerte Organisation« handelt. Auf Initiative und mit Hilfe der damals noch mehrheitlich zum Axel Springer-Verlag gehörenden Pin Group AG und des niederländischen Zustelldienstes TNT sei die Möchtegerngewerkschaft einzig mit dem Zweck gegründet worden, den Postmindestlohn auszuhebeln.
Tatsächlich schlossen der Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste (AGV-NBZ) und der Bundesverband der Kurier-, Express- und Postdienste (BdKEP) im Dezember 2007 mit der GNBZ Tarifverträge ab, die deutlich die von Verdi mit dem von der Post AG dominierten Arbeitgeberverband Postdienste ausgehandelten und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales für allgemein verbindlich erklärten Mindestlöhnen von 8 Euro bis 9,80 Euro für Sortierkräfte und Briefzusteller unterboten. Wie praktisch: Ihre Dumpingabschlüsse gaben AGV-NBZ und BdKEP die Möglichkeit, gegen die Aufnahme des Postmindestlohns in das Entsendegesetz zu klagen. Im März entschied das Verwaltungsgericht in Berlin zu ihren Gunsten. Das Entsendegesetz, so die Begründung, erlaube nur Mindestlohnregelungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne eigene Tarifvereinbarung. Dies sei jedoch im Briefmarkt nicht gegeben, schließlich hätte ja die private Postkonkurrenz mit der GNBZ abgeschlossen. Über die vom Arbeitsministerium eingelegte Berufung ist bislang noch nicht entschieden.
Aber durfte die GNBZ überhaupt Tarifverträge abschließen? Über diese Frage beriet nun vor wenigen Wochen das Kölner Arbeitsgericht auf Antrag von Verdi. Dass es sich bei der GNBZ um einen recht eigentümlichen Verein handelt, zeigte sich dabei direkt zu Anfang der Sitzung. Denn der Vorstand der selbsternannten »Gewerkschaft« glänzte durch Abwesenheit. Dabei hätte er es nicht weit gehabt: Die »Geschäftsstelle« der GNBZ befindet sich nur wenige hundert Meter vom Gericht entfernt auf der Universitätsstraße. So jedoch musste Helmut Thiess alleingelassen von seiner Mandantin im Saal 109 sitzen - und war nicht einmal in der Lage, die einfachsten Fragen der Vorsitzenden Richterin Sabine Poeche zu beantworten. Wie auch? Erst zwei Tage zuvor war der Hamburger Rechtsanwalt mandatiert worden.
Wie viele Mitglieder die GNBZ hat? Nein, das könne er »hier und heute nicht« sagen, gab Thiess zu Protokoll. Auch über die Höhe der über Mitgliedsbeiträge erzielten Einnahmen könne er keine Angaben machen. Nach Hochrechnungen von Verdi liegen die Mitgliedsbeitragseinnahmen der GNBZ bei etwa 15000 Euro. Das sei bereits »im oberen Bereich angesetzt«, so Verdi-Vertreter Stephan Teuscher.
Wie auch immer: Zur Finanzierung der Organisation hätten die Mitgliedsbeiträge der GNBZ nie und nimmer ausgereicht, zu keinem Zeitpunkt. Aber das war auch gar nicht nötig, schließlich gab es insbesondere in der Gründungsphase ja mehr als großzügige Gönner. Vor allem die PIN Group zeigte sich äußerst generös. Wie aus Unterlagen hervorgeht, die der PIN-Insolvenzverwalter Bruno Kübler der Staatsanwaltschaft übergeben hat, zahlte der Postkonkurrent über den Umweg einer Kölner Anwalts- und Steuerberatungskanzlei mehr als 130000 Euro. Das Geld diente unter anderem dazu, das offizielle Monatsgehalt von 3500 Euro des seinerzeitigen hauptamtlichen GNBZVorstands Arno Doll um monatlich 21500 Euro aufzustocken.
Die Verhandlung vor dem Kölner Arbeitsgericht lieferte weitere Beweise für die Fragwürdigkeit der GNBZ: Erstmalig gelangte die bis dahin sorgsam gehütete Satzung des Vereins an die Öffentlichkeit. Die bietet unter dem Punkt »Aufgaben und Ziele« eine äußerst aufschlussreiche Formulierung: Vorrangiges Ziel der Organisation sei »die Mitwirkung am Wohl der privaten Brief- und Zeitungszustellunternehmen«. Für eine Arbeitnehmervertretung eine mehr als eigenartige Bestimmung, wie nicht nur DGB-Anwalt Friedrich Schindele befand: »Eine Gewerkschaft hat die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten, und sonst gar nichts.« Wie auch das Bundesarbeitsministerium unterstützte der DGB die Verdi-Klage gegen die GNBZ.
Nur rund eine Stunde dauerte die Verhandlung, dann stand auch für das Gericht fest: Bei der »Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste« handelt es sich nicht um eine tariffähige Gewerkschaft. Denn dazu fehlten gleich mehrere Voraussetzungen. »Wir können nicht erkennen, dass die GNBZ gegnerunabhängig ist«, begründete Richterin Poeche den Beschluss der Kammer. Der vermeintlichen Gewerkschaft fehle es »aufgrund personeller Verflechtungen mit der Arbeitgeberseite und aufgrund erheblicher finanzieller Zuwendungen durch diese« an der für die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen notwendige Eigenständigkeit.
Auch im Dezember 2007, als die GNBZ ihre Dumpingtarifverträge abgeschlossen hatte, sei sie bereits nicht tariffähig gewesen, so das Gericht. Dies wäre jedoch Voraussetzung für den Abschluss eines wirksamen Tarifvertrags gewesen. Damit gab das Gericht in vollem Umfang dem Antrag von Verdi statt. »Wir hoffen, dass der Spuk jetzt ein Ende hat«, kommentierte Verdi-Mann Teuscher erfreut den Prozessausgang. Eine Stellungnahme der GNBZ blieb hingegen aus. Die letzte auf ihrer Homepage abrufbare Pressemitteilung datiert vom 20. April 2008.