»Eure Krise bezahlen wir nicht« ist die Parole der seit Wochen protestierenden italienischen Studierenden. Gemeinsam mit SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen und DozentInnen wehren sie sich gegen die Grund- und Hochschulreformen der Regierung Berlusconi. Diese sehen drastische Veränderungen für den ganzen Bildungssektor vor und sollen bis zu acht Milliarden Euro einsparen.
Die AktivistInnen besetzten in den vergangenen Wochen Schulen und Universitäten, veranstalteten hunderte von Demonstrationen und riefen landesweite Streiks aus. Es fanden auch zahlreiche Vorlesungen unter freiem Himmel statt. In Pisa staunten darum TouristInnen über einige Esel, die ein Professor zur Open-Air-Vorlesung auf die Piazza dei Miracoli brachte. Er wollte veranschaulichen, dass die Forschung über die vom Aussterben bedrohten Amiata-Esel keine Geldverschwendung sei, wie von Minister Renato Brunetta behauptet. Als »Hauch von 1968« betitelte die Süddeutsche Zeitung nostalgisch die rebellische Stimmung in Italien. Währenddessen ärgert sich Premier Silvio Berlusconi über die DemonstrantInnen. »Ich selbst bin immer ein Vorzeige-Student gewesen. Ich war stets sehr fleißig und habe nie demonstriert«, erklärte er und kündigte Maßnahmen gegen die Besetzungen an.
Grund für die Reforminitiative ist laut Regierung unter anderem, dass das italienische Bildungssystem im internationalen Vergleich schlecht abschneidet und die bestehenden Strukturen ineffizient seien. Für die Einsparungen müssen die Schulen und Universitäten einen hohen Preis zahlen. Durch die Grundschulreform, die das Parlament bereits verabschiedet hat, sollen zehntausende Lehrund Verwaltungsstellen im Bildungsbereich wegfallen. So sollen in den Grundschulen keine FachlehrerInnen mehr unterrichten, sondern EinheitslehrerInnen. Zudem will die Regierung Klassen einrichten, in denen ImmigrantInnenkinder unterrichtet werden, die einen speziellen Italienischtest nicht bestanden haben. OppositionspolitikerInnen befürchten, dass diese Sonderklassen die Integration behindern können.
Die noch nicht verabschiedete Hochschulreform hat für ebenso viel Aufruhr gesorgt. An den Hochschulen soll nicht mehr jede DozentInnenstelle wiederbesetzt werden, die Zahl der Lehrenden soll sinken. Einer der am hitzigsten diskutierten Punkte ist die Finanzierung der Hochschulen. Durch die Reformen sollen sie entweder zunehmend in privat finanzierte Stiftungen umgewandelt oder weiterhin durch die knapp bemessenen öffentlichen Gelder finanziert werden. Die Unis müssten dann um ihre Existenz fürchten, wenn sie sich dem Privatisierungsdruck nicht beugen.
Er werde »keinen Millimeter« nachgeben, betonte Berlusconi noch Ende Oktober. Doch die protestierenden Studierenden und DozentInnen können bereits einen Erfolg verbuchen. Angesichts der nicht abschwellenden Proteste und der Generalstreiks sah sich der Premier genötigt, das Dekret zur Hochschulreform vorerst nicht zu verabschieden. »Unter dem Druck der Studenten muss Berlusconi auf das Dekret verzichten«, kommentiert Walter Veltroni von der Demokratischen Partei (PD). »Das ist ein großer Erfolg für die Studentenbewegung, die vor der Arroganz der Regierung Berlusconi nicht haltmacht.« Damit Berlusconi zu der Einsicht kam, dass man mit den ReformgegnerInnen in Dialog treten muss, brauchte es allerdings erst eine Mahnung von Staatspräsident Giorgio Napolitano.