Hauptschulabschluss, kein Ausbildungsplatz und kaum eine Chance auf sozialen Aufstieg: Studien über Deutschlands türkischstämmige Minderheit zeichnen meist ein eher bedrückendes Bild. Aber wie sieht es eigentlich mit den türkisch-deutschen Studierenden aus? Wer sind sie, und mit was für Problemen haben sie zu kämpfen?
Die Kölner Anglistik-Dozentin Iman Laversuch will es wissen. Um Antworten zu finden, befragt sie zurzeit türkischstämmige Studierende der Uni Köln. "Es fehlen Informationen zu der wachsenden Zahl der türkisch-deutschen Studenten, die sich akademisch hervorgetan haben", sagt Laversuch. "Es macht mich wütend, wenn ich höre, wie Leute, die nicht mit dem unglaublichen kulturellen Erbe dieser Menschen vertraut sind, verkünden, dass der akademische Misserfolg der türkisch-deutschen Minderheit nahezu unvermeidbar sei."
Bei Laversuchs Studie stehen zwei Aspekte im Vordergrund: Erstens, ob die befragten Studierenden aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert wurden und ob eine solche Erfahrung Auswirkungen auf ihre Schullaufbahn hatte. Dabei spielt es eine große Rolle, ob sich die Befragten eher der deutschen oder der türkischen Kultur zugehörig fühlen oder sich eher in der Mitte zwischen den beiden Kulturen sehen. Zweitens, ob sie neben der deutschen auch die türkische Sprache beherrschen. Bei den Befragungen bekommt die Dozentin Hilfe von den Anglistikstudentinnen Ipek Sirena Krutsch und Fatma Akkus.
Krutsch, die mit ihrem türkischen Migrationshintergrund zu der untersuchten Gruppe gehört, veranstaltet mit den StudienteilnehmerInnen sogenannte Rapsessions, eine besondere Art von Interview. "Bei diesen Gruppeninterviews folgt ein Wort dem anderen, wie bei einem Rap", sagt sie. "Dazu gibt es Essen und Trinken. Alle sollen die Möglichkeit haben, sich frei zu äußern, auf Türkisch und auf Deutsch." Krutschs Part ist es, immer wieder auf das Thema zurück zu lenken. Im Anschluss an die Rapsessions bekommen die TeilnehmerInnen Fragebögen, die sie dann zu Hause ausfüllen und anschließend zurückschicken sollen.
Laversuch, Krutsch und Akkus konzentrierten sich zunächst nur auf Studentinnen. Mittlerweile beziehen sie auch Männer in ihre Studie ein. "Zu Beginn haben wir nur Studentinnen befragt, weil die Frauen zu den Benachteiligten in der Gesellschaft gehören", sagt Akkus. "Das bedeutet nicht, dass wir die Vorurteile über Frauenunterdrückung in der türkischen Kultur unterstreichen möchten. Aber es ist leider eine Tatsache, dass es Frauen häufiger erschwert wird, ihre eigenen Entscheidungen bezüglich ihrer Zukunft zu treffen, als Männern."
Wann die Ergebnisse der Studie veröffentlicht werden, steht noch nicht fest. Die Untersuchung läuft noch, und es werden nach wie vor TeilnehmerInnen gesucht. Laversuch zufolge soll die Untersuchung sogar noch ausgeweitet werden: um nicht-türkischstämmige Studierende, die ebenfalls einen muslimischen Hintergrund haben.
Die Anglistin hat ganz persönliche Gründe dafür, sich um ein ausgewogeneres Bild von MuslimInnen in Deutschland zu bemühen: "Als gebürtige New Yorkerin, die während der tragischen Vorfälle des 11. Septembers Familienmitglieder verloren hat, war ich zutiefst gerührt, als ich einen Tag später, von jedem einzelnen muslimischen Studenten, den ich jemals unterrichtet hatte, eine Beileidsemail bekam", erzählt sie.