Michael Klausen (Name geändert) ist krank. Seine Krankheit ist zwar nicht lebensbedrohlich, aber sehr schmerzhaft - und sie geht niemanden außer ihn selbst und seinen Arzt etwas an. Das dachte der 24-jährige Sozialwissenschaftsstudent zumindest bis vor kurzem. Dann trat der Prüfungsausschuss der Kölner Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät (WiSo) auf den Plan. Klausen, der auf Bachelor studiert, hatte wegen seiner Krankheit die Hälfte eines Blockseminars verpasst und konnte deshalb die geforderten Leistungsnachweise, darunter ein Referat, nicht liefern. Ein Attest von seinem Hausarzt nahm die WiSo-Fakultät gar nicht erst an - es könnte ja aus Gefälligkeit geschrieben worden sein. Auch ein Attest eines speziellen WiSo-Vertrauensarztes reichte nicht aus: Klausen sollte dem fremden Arzt erlauben, dem Prüfungsausschuss der Fakultät von seiner Krankheit zu berichten.
Mit dieser Praxis liegt die Kölner WiSo-Fakultät voll im Trend. Immer mehr Fakultäten an deutschen Hochschulen weigern sich, herkömmliche Atteste anzuerkennen, und verlangen stattdessen detaillierte Informationen über Symptome und Beschwerden (siehe philtrat nr. 90). Die rechtliche Grundlage dafür bildet ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1996. Danach darf allein der Prüfungsausschuss entscheiden, ob Studierende prüfungsfähig sind - und darf, um seine Entscheidung zu treffen, entsprechende Informationen verlangen. Viele Fakultäten setzen dieses Rechtsprechung jetzt mit dem Hinweis auf die Bachelor-Studiengänge um, in denen die meisten Leistungsnachweise bereits für die Abschlussnote zählen. Während Studierende an vielen Hochschulen, wie der Berliner Humboldt-Uni, dagegen protestieren, ihre Krankenakten präsentieren zu müssen, ist es in Köln bisher erstaunlich ruhig geblieben.
Es mag am Stillhalten der Kölner Studierenden liegen, dass der Leiter des WiSo-Prüfungsamts Axel Hänel dieses Vorgehen völlig unproblematisch findet. "Die Atteste werden vertraulich behandelt und die Akten nach ein paar Jahren vernichtet", sagt er. Misstrauen gegenüber den Studierenden möchte er sich nicht vorwerfen lassen. "Wir glauben natürlich den Attesten", sagt Hänel. "Es ist allerdings schon auffällig, dass neunzig Prozent wegen Gastroenteritis ausgestellt werden." Auch der Sprecher der Landesdatenschutzbeauftragten, Nils Schröder, zeigt sich dem Datenschnüffeln gegenüber verständnisvoll. "Wir erkennen an, dass die Prüfungsämter Symptome als Beurteilungsgrundlage kennen müssen", sagt er. Immerhin: "Eine Diagnose braucht die Uni aber nicht zu wissen."
Möglicherweise kommt der Protest gegen diese Praktik in Köln doch langsam ins Rollen, auch wenn sich bisher nur die WiSo-Fakultät an Krankendaten bedient. Vor kurzem beschwerte sich ein Kölner Student bei der NRW-Datenschutzbeauftragten über den Zwang, einen Vertrauensarzt aufsuchen zu müssen, um ein gültiges Attest zu bekommen. Das Ergebnis der Beschwerde ist noch offen. Auch Michael Klausen will nicht hinnehmen, dass seine Krankheit nichts Privates mehr ist, wenn er deswegen ein Seminar oder eine Prüfung verpasst. Er hat sich ebenfalls bei der Landesdatenschutzbeauftragten beschwert, außerdem beim Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). "Ich fühle mich mit meiner Krankheit jetzt dreifach gestraft", sagt er. "Ich bin nicht nur krank und mir entgehen Leistungspunkte, sondern ich bekomme auch noch entweder Maluspunkte für eine nicht bestandene Prüfung oder muss mich gegenüber der Universität entblößen."