Im Herbst vor vier Jahren brannten in den Pariser Vororten jede Nacht hunderte Autos. Der Auslöser für die wochenlangen Revolten war der Tod zweier Jugendlicher, die sich auf der Flucht vor der Polizei in einem Trafo-Häuschen versteckt und einen tödlichen Stromschlag bekommen hatten. Die Null-Toleranz Politik des damaligen Innenministers und heutigen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und sein Kommentar, er wolle die Vorstädte »von dem Gesindel reinigen«, verschärften die Situation noch. Wie man an der Heftigkeit der Ausschreitungen und an ihrem Übergreifen auf andere französische Städte sehen konnte, sind Frustration und Wut der Menschen in den Banlieues groß.
Deutsche Medien zeigten meist nur brennende Autos und vermummte Gestalten. Was hinter den Unruhen steht, versucht nun der Sammelband Banlieues. Die Zeit der Forderungen ist vorbei von allen Seiten zu beleuchten. Er enthält einerseits wissenschaftliche Aufsätze und Interviews mit ExpertInnen und Beteiligten. Andererseits gibt es darin auch Blog-Texte, die von der alltäglichen Diskriminierung und den schlechten Arbeitsbedingungen der Banlieue-BewohnerInnen erzählen. Die Collage aus Texten und Themen bietet einen umfassenden Einblick in die komplexen Zusammenhänge und Hintergründe der Revolte. Die Banlieue-Aufstände des Jahres 2005 waren kein neues Phänomen. Seit Jahrzehnten gibt es in Frankreich immer wieder ähnliche Unruhen. Neu war jedoch die totale Weigerung der Beteiligten, mit politischen RepräsentantInnen zu sprechen. So stellt die Soziologin Ingrid Artus in ihrem Beitrag fest, dass es keine formulierte Utopie wie in einer sozialen Bewegung gab, sondern dass in den Aufständen hauptsächlich ein »Nein« gegenüber den bestehenden Verhältnissen zum Ausdruck kam. Sie betont, dass sich Frustration und Wut hauptsächlich gegen zwei Institutionen richteten: Polizei und Schule. Gegen die Polizei, weil diese ständig und in erniedrigender Weise Ausweiskontrollen durchführt. Und gegen die Schule, weil sie für die meisten Banlieue-BewohnerInnen ein Ort der Frustration ist und selbst MigrantInnen, die einen Hochschulabschluss haben, massive Probleme haben, einen angemessenen Job zu finden. Hinzu kommt, dass die Wohnungsbaupolitik der vergangenen Jahrzehnte zu starker Ghettoisierung und Stigmatisierung der Banlieue-BewohnerInnen geführt hat. Was bleibt, ist der erschreckende Eindruck, dass unzählige Menschen durch eine diskriminierende Politik für die Gesellschaft überflüssig gemacht werden.