Wem der weihnachtliche Familienbesuch mit elterlicher Fürsorge und Geschwisterzoff noch nicht genug Kindheits-Flashback ist, könnte vielleicht Interesse an einem Malbuch haben. Davon gibt es erstaunlich viele für Erwachsene. Von den Kinderbüchern unterscheiden sie sich meist durch anspruchsvollere Motive wie historische Gebäude oder berühmte Gemälde. Recht verbreitet sind die so genannten Mal-Atlanten, die sich unter anderem an Medizinstudierende richten. »Selbst ausgemalt ist halb gelernt«, denkt sich vermutlich der Verlag und bietet Anatomie-Paukenden eine Mischung aus Lehrbuch und Spielerei.
Während es im Kindergarten noch verpönt war, über die Ränder zu malen, fordern einige der Erwachsenen-Publikationen ihre LeserInnen genau dazu auf oder geben überhaupt keine zu füllenden Flächen vor. Eine besonders schöne und selbstironische Variante dieser Freiheit zwischen den Buchdeckeln ist das Walls Notebook (Quirk Books). Fotografien von »leeren« Wänden in New York geben darin Möchtegern-Graffiti-KünstlerInnen die Gelegenheit zu Trockenübungen. Noch ein bisschen weniger brav will die Illustratorin Kerri Smith mit ihrem Wreck this Journal sein. Auf den einzelnen Seiten stehen unterschiedlich destruktive Aufgaben, wie das Papier zu durchlöchern oder zu verbrennen. Smiths erklärtes Ziel ist es, kreative Hemmungen und die Angst vor dem leeren Blatt zu überwinden. Speziell für Studierende ist bei Carlsen der Kritzelblock fürs Studium erschienen. Ausbaufähige Zeichnungen und verschiedene Aufgaben sollen die LeserInnen in unerträglichen Vorlesungen beschäftigen. Der Grundgedanke, unterdrückte Frustration auf dem Papier rauszulassen, wird teils witzig, teils platt umgesetzt. Mit dabei sind ein Labyrinth von der Mensa zum Seminarraum (»Nimm den längsten Weg und lass dir Zeit«) und das unvermeidliche »Schiffe versenken«. Etwas origineller ist da schon das »Äh«-Galgenmännchenspiel: Auf der geteilten Seite sind die LeserInnen angehalten, für jedes geäußerte »Äh« einen Strich zu machen, um zu sehen, ob DozentInnen oder ReferentInnen zuerst am Galgen baumeln. Neben diesen Übungen zum Zeittotschlagen hat der 40 Seiten starke Kritzelblock aber auch ein paar kreativere Aufgaben zu bieten: »Dein Prof kann sich vor lauter Gelehrsamkeit nicht mehr normal ausdrücken. Überlege, was er sagen würde, wenn er folgendes meint: …« Was folgt, sind alltägliche Äußerungen wie »Wo steht mein Auto?« oder »Ich muss aufs Klo«. Am sinnvollsten ist wohl die Aufgabe an alle vom Lehrplan genervten Studierenden, endlich selbst zu bestimmen, wie sie ihre Zeit verbringen wollen: »Was ich jetzt am liebsten tun würde« lautet die Überschrift einer auszufüllenden Liste. In eine ähnliche Kerbe wie der Kritzelblock schlägt Das Malbuch für alle, denen zum Aussteigen das Geld fehlt von Claire Faÿ (Blanvalet Verlag). Die Autorin nutzt die bei den LeserInnen vorausgesetzte Resignation für allerlei klamaukige Sprachbilder. Auf fast 50 Seiten sind Metaphern aus Arbeitswelt (»Galeere«) und Privatleben (»Klotz am Bein«) skizziert, die die BesitzerInnen des Heftes nun weitermalen, ausmalen oder auseinandernehmen können. So wird zur Skizze eines Schweins vorgeschlagen, den Vorgesetzten zur Sau zu machen, und ein kümmerlicher, noch flügelloser Vogel dient allen, die »Lust auf Veränderung« haben, als Aufforderung, ihm Flügel zu malen. Dass sich dadurch vielleicht das Papier verändert, aber nicht das Leben der LeserInnen, dürfte klar sein. An anderen Stellen gibt sich das Aussteiger-Buch noch bitterer. So gibt es in dessen Bürowelt nur Sekretärinnen und Praktikantinnen, während der Chef immer männlich ist. Die Autorin beendet ihr Heft trotzdem nicht mit dem Aufruf zum Protest, sondern mit dem verhaltenen Vorschlag, über das Aussteigen nachzudenken.