Draußen ist es kalt und feucht. Drinnen machen Fernsehgeflimmer und trockene Heizungsluft depressiv.
Eigentlich ist jetzt die Zeit, mit dickem Wollschal und buntem Regenschirm, in gefütterten Stiefeln und warmem Mantel romantische Spaziergänge durch den Park zu unternehmen und mit dem seit Monaten extra für diesen Anlaß gesammelten Altbrot Schwäne zu füttern.
Hört sich nach einem fast perfekten Plan, aber auch ein bisschen langweilig an?
Wesentlich unterhaltsamer ausfallen könnte stattdessen ein kleiner Streifzug durch das Belgische Viertel, von allen Seiten beworben als Kölns coolster, hippster, schönster und szenigster Stadtteil, gelegen ungefähr zwischen Venloer und Aachener Straße., den Ringen und dem Grüngürtel. Einen großen Pluspunkt bekommt dieser Stadtteil für seine Unbeschmutztheit in Sachen »Ketten«: McDonalds, Starbucks, H&M, Orsay, Bijou Brigitte gibt es weit und breit nicht, dafür eine große Vielfalt kleiner Überraschungen an jeder Straßenecke.
Schlendert man hier durch die überwiegend nach belgischen Städten benannten Straßen, mutet es mitunter an, als sei man in einem zoologischen Garten unterwegs: hinter zahllosen riesigen Fensterscheiben sitzen in minimalistisch weiß eingerichteten Räumen interessant bebrillte Menschen und beschäftigen sich an ihren Applecomputern hochkonzentriert mit Photoshop und Indesign, denn Werbe- und Grafikdesignagenturen scheint es hierher überdurchschnittlich oft zu ziehen, genauso wie Frisörsalons und asiatische Restaurants, unter denen es jedoch ein paar besonders ausgefallene (Ponyclub - Haare schneiden lassen und schöne Accessoires kaufen, Aachener Straße 64, Frisör Kultschnitte und Boutique Salon Sahnestück, Flandrische Straße 6a) oder leckere (Mr. Chow - fernöstliche Gerichte, Brüsseler Str. 43 ; BuyBuy - indische Küche, Aachener Straße 16) gibt. Apropos lecker: Kulinarisch lohnt es sich, einmal bei Osho's Place (Venloer Straße 5-7), einem vegetarischen Buffetrestaurant, vorbeizuschauen. Es ist hervorgegangen aus der in den 80er Jahren in Köln starken Bewegung um den indischen Sektenführer Bhagwan Shree Rajneesh (später Osho). Danach frisch gestärkt ist der perfekte Zeitpunkt, Weihnachtseinkäufe zu unternehmen, denn in den kleinen interessanten Läden des Belgischen Viertels gibt es eine Menge zu entdecken. Wegweiser auf dieser Entdeckungsreise ist der einmal jährlich erscheinende und in vielen Geschäften im Beglischen Viertel ausliegende Einkaufsführer Chic Belgique. Und dann kann es auch schon losgehen: Bei La Seda (Brüsseler Straße 100a) überwältigt die Vielfalt an bunten Finger- und Ohrringen. Taschen, Halsketten und anderen Modeschmuckartikeln. In dem kleinen Laden Contasbrasil (Brüsseler Straße 58) gibt es bunten Perlenschmuck aus Brasilien. Klamotten kann man großartig kaufen bei mlle Tambour (Moltkestraße 52), dem kleinen Laden der Modedesignerin Monika Tambour, die hier sowohl ihre eigene Kollektion als auch Stücke anderer Labels und Accessoires verkauft und Änderungswünsche direkt vor Ort erfüllt, bei Blutsgeschwister (Brüsseler Straße 82), dem »Dolce Vita Soulwear«-Modeunternehmen aus Stuttgart mit besonders ausgefallenen Schnitten, Magasin Populaire (Brüsseler Platz 8), einem schicken Laden mit Klamotten, Schuhen und Aussicht auf die Kirche St. Michael auf dem Brüsseler Platz, und bei Bonjour Monsieur Courbet (Maastrichter Straße 49), der coole Sachen für Männer führt. Schließlich ist da noch das Cleanicum (Brüsseler Straße 74-76), eine Symbiose aus Café, Bekleidungsgeschäft und Waschsalon. Drei besonders ausgefallene Läden hat die leicht versteckt gelegene Limburger Straße zu bieten: Spaziert man sie vom Hohenzollernring aus entlang, trifft man zuerst auf die Krimibuchhandlung Alibi (Limburger Straße 9), dann auf den bunten Kondomladen Condomi (Limburger Straße 22), in dem es Kondome in allen Farben, Größen und Geschmacksrichtungen gibt, und landet schließlich beim Oxfam Shop (Friesenplatz 15), in dem man günstig Bücher zum Kilopreis, Kleidung und Wohnaccessoires kaufen und gleichzeitig eine der größten Hilfsorganisation weltweit unterstützen kann. Nach all den Einkaufsanstrengungen auf diesem Herbstausflug, hat man es sich verdient, sich für zehn Minuten hinzusetzen und auszuruhen. Dazu eignet sich hervorragend der neu auf der Brüsseler Straße Ecke Aachener Straße aufgestellte nostalgische Photoautomat. Dieser spuckt für zwei Euro einen Streifen mit vier verschiedenen Schwarzweißfotos von dir aus. Danach Lust auf Kultur? Im Theater im Bauturm (Aachener Straße 24) wird seit über 20 Jahren circa einmal pro Monat das Einpersonenstück »Der Kontrabass« von Patrick Süskind mit Axel Siefer aufgeführt. Karten sollten unbedingt vorbestellt werden. Auch die erst Ende September neu eröffnete und sich mit zeitgenössischem Design auseinandersetzende Contain Gallery von Ioanna Paraskeva (Aachener Straße 29) ist ein absolutes Muss. Um es sich alternativ doch lieber zu Hause auf dem Sofa mit einer schönen DVD kuschelig zu machen, ist die Programmvideothek Filmkunst 27 (Aachener Straße 27) die perfekte Fundgrube. Dort ist die Auswahl an Filmen groß, nach denen man in Mainstreamvideotheken lange sucht, und die Filme sind sortiert nach ungewöhnlichen Kriterien wie zum Beispiel Kontinenten. Gar nicht weit entfernt (Engelbertstraße 45) gibt es eine weitere tolle Videothek, die Traumathek. Wer nachts statt sich etwas anzusehen lieber hören möchte, dem seien Parallel Schallplatten (Aachener Straße 5) - Musik auf Vinyl quer durch alle Genres und Jahrzehnte - und WortArt (Lindenstraße 5) - Hörbücher und Comedians auf CD - ans Herz gelegt. Ein Tag neigt sich dem Ende zu. Wir befinden uns noch immer mitten im düsteren Herbst, matschiges Laub klebt an den Stiefeln, die Haare kleben zerzaust von Wind und Regen am Kopf, doch das Belgische Viertel vermag für ein paar Stunden die kalten Jahreszeiten auszublenden und das Gefühl von Frühling zu versprühen. Wer braucht da noch den Park?