Es klang fast wie eine Verabschiedungsrede. »Mir ist heute in dieser Debatte eins wichtig«, sagte Karl-Josef Laumann kürzlich im Düsseldorfer Landtag, »dass ich in der Politik bis jetzt noch keinen Menschen kennengelernt habe, der so gradlinig und bescheiden als Politiker in Deutschland auftritt wie Jürgen Rüttgers.« Der sei einer, der »seine politische Arbeit als eine dienende Funktion für unser Land und für die Menschen begreift«, fügte der nordrhein-westfälische Arbeitsminister mit getragener Stimme hinzu. Wer solch öffentlicher Ehrerbietung bedarf, dem muss es ziemlich schlecht gehen. Jürgen Rüttgers geht es ziemlich schlecht.
Noch bis vor kurzem galt die Landtagswahl am 9. Mai als reine Formsache für den 58-jährigen Christdemokraten. Über viereinhalb Jahre lag seine schwarz-gelbe Landesregierung in allen Umfragen unangefochten vorne. Jetzt muss Rüttgers zittern. Hausgemachte Affären haben ihm und seiner Partei einen Einbruch beschert. Rüttgers droht Opfer seines eigenen miesen Spiels zu werden. Während er selbst den fürsorglichen Landesvater gab, kümmerte sich ein Kreis ihm treuer Jungkarrieristen um die weniger strahlende Seite der Machtsicherung. Politik ist ein schmutziges Geschäft, bei dem man sich eben auch die Hände dreckig machen muss, lautete das Credo dieser konservativen Boygroup um CDU-Landesgeneralsekretär Hendrik Wüst und Boris Berger, den Abteilungsleiter für Regierungsplanung in der Staatskanzlei. Insbesondere im Umgang mit SPD-Frontfrau Hannelore Kraft zeigte sich Rüttgers' Schmutztruppe nicht zimperlich. Sie überzogen Kraft mit einer unappetitlichen Kampagne, die in ihrer intellektuellen Schlichtheit an Parolen aus Zeiten des Kalten Kriegs erinnerte. In den Worten Bergers: »Das geschieht der Alten recht. Immer auf die Omme.«
Nicht nur bei der Bekämpfung des politischen Gegners kannten die fidelen Mittdreißiger wenig Skrupel. Ebenso unbekümmert bemühten sie sich um die Vermehrung ihres eigenen und des Parteivermögens. Zuerst flog im Dezember 2009 auf, dass Generalsekretär Wüst monatelang gleichzeitig von der CDU als auch vom Landtag Zuschüsse für seine private Krankenversicherung kassiert hatte. Dann kam im vergangenen Monat heraus, dass die NRW-CDU potentiellen Sponsoren für 20000 Euro ein sogenanntes Partnerpaket für den Landesparteitag angeboten hatte - »Einzelgespräche mit dem Ministerpräsidenten und den Minister/innen« inbegriffen. »Rent a Rüttgers«, höhnten Opposition und Medien über diese eigentümliche Geschäftsidee, spendablen Sponsoren den Zugang zu Regierungsmitgliedern zu offerieren.
Seit der Sponsoring-Affäre hat Rüttgers ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Die Folge: Mittlerweile liegt Rüttgers' blasse SPD-Herausforderin Kraft in den persönlichen Popularitätswerten fast gleichauf mit ihm. Krisenmanagement ist angesagt. Der 34-jährige Haudrauf Wüst musste dem bisherigen Landesmedienminister Andreas Krautscheid weichen, der als solider gilt; Boris Berger wurde als Feuerlöscher von der Staatskanzlei in die Parteizentrale abkommandiert. Berger gilt als engster politischer Vertrauter von Rüttgers. Der umstrittene Reserve-Hauptmann dient ihm nicht nur als Mann fürs Grobe, sondern auch als Chefstratege. Berger, 2002 ins Rüttgers-Team geholt, hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Sozialdemokraten lange Zeit kein Rezept fanden, um Rüttgers erfolgreich in die Parade zu fahren. Hilflos verfolgten sie, wie dieser nach seinem Wahlsieg 2005 verkündete: »Der Vorsitzende der Arbeiterpartei in Nordrhein-Westfalen bin ich.«
Dabei folgte der anfänglich noch hölzern agierende Rüttgers einem von Berger geschriebenen Drehbuch. Nur eine Woche nach dem Wahlerfolg formulierte der ehemalige Feldjäger seine »Grundüberlegungen« zur Inszenierung des künftigen Ministerpräsidenten. Rüttgers müsse »in die Lage versetzt werden, die emotionalen Bedürfnisse des Landes zu befriedigen«, in der Rolle eines »Kümmerers«, »der die Seele des Landes kennt, versteht und streichelt«. Jürgen Rüttgers ist ein Politiker mit viel Fassade. Wofür der taktisch versierte Rheinländer tatsächlich steht, weiß niemand so genau. Auch wenn er in seiner Rhetorik bisweilen schwer sozialdemokratisch daher kommt: Ein »Linker« ist aus Helmut Kohls Ziehsohn deswegen noch nicht geworden. Nichts läge ihm ferner.
Rüttgers stammt aus tiefster rheinischer Provinz. Während andere seiner Generation in den Sechzigerjahren auf die Barrikaden gingen, verlief sein Lebensweg brav gradlinig: von den katholischen Pfadfindern über die katholische Studentenverbindung zur CDU. Neben den »Wilden«, schrieb kürzlich der Spiegel, habe es 1968 auch die »Willigen« gegeben: »die Rüttgers«. Was sein Vater im Dritten Reich gemacht hat, »das wollte er nie so genau wissen, vermutlich erfährt er erst hier, dass Willi Rüttgers in der NSDAP war, eingetreten am 1.Mai 1933«, notierte der Spiegel. Die schlechten Schlagzeilen zuletzt möchte Rüttgers schnell vergessen. Deshalb setzt die CDU wieder auf Attacke. Nur einen Tag, nachdem der Landtag über die Sponsoring-Affäre debattiert hatte, verabschiedete die schwarz-gelbe Mehrheit eine krachende Resolution gegen die Linkspartei: »Die Menschen in Nordrhein-Westfalen wollen keine Bündnisse mit extremistischen Parteien.« Bereits Ende Februar hatte die CDU ein »Rotbuch« gegen die Partei herausgebracht, die bislang nur durch den Ex-Grünen Sagel im Landtag vertreten ist. In dem 32-seitigen Pamphlet »über den heimlichen Bündnispartner der SPD in NRW« ist zu lesen, die Linkspartei bewege »sich mit ihrer marxistisch-leninistischen Sozialismusdefinition nicht auf dem Boden der Verfassung«. Ob die CDU mit ihrer Angstkampagne Erfolg haben wird, ist fraglich. Das letzte Mal, als ihr ein »Rotbuch« zum Wahlsieg verhelfen sollte, ging das jedenfalls daneben. Das war Anfang der Siebzigerjahre - und richtete sich seinerzeit gegen Willy Brandt.