Hungern für Gerechtigkeit

Mit einem Hungerstreik kämpft Norbert Denef gegen die Verjährung von Sexualstraftaten. Missbrauchsopfer verlieren nach wenigen Jahren das Recht zu klagen. Von Naima Wolfsperger

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Norbert Denef trat am 8. Juni in Hungerstreik. Denef ist der Vorsitzende des Netzwerk Betroffener von Sexualisierter Gewalt (Netzwerk B), das seit 2010 um die Aufhebung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist von Sexualstraftaten kämpft. Mit der drastischen Aktion des Hungerstreiks reagiert er auf die Entscheidung der SPD-Bundestagsfraktion, sich nicht für eine Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt einzusetzen.

Die gesetzliche Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch Minderjähriger beträgt derzeit im Strafrecht zehn, im Zivilrecht drei Jahre. Mit dem Ablauf der Frist verlieren Betroffene aber nicht nur das Recht Anzeige zu erstatten, Gerechtigkeit und »Schadensersatz« zu fordern. Der Gang an die Öffentlichkeit kann eine Verleumdungsklage nach sich ziehen - den Opfern wird also mit der Verjährungsfrist staatlich verordnet, über die Gräuel zu schweigen, die ihnen zugefügt wurden. Die Uhr für die Verjährungsfrist fängt zwar erst ab dem 18. Lebensjahr an zu ticken, was aber, wenn Scham, Schuldgefühl und Angst eine Anzeige, sogar das Aussprechen des Erlebten unmöglich machen?

Denef, der mit seinem Hungerstreik Aufmerksamkeit erregt, ist selbst »Überlebender« sexualisierter Gewalt. Im Alter zwischen neun und achtzehn wird er von zwei Männern, einem Pfarrer und einem Kirchenangestellten, sexuell missbraucht. Erst nach fünfunddreißig Jahren schafft er es darüber zu sprechen. Nach seinem »Coming-out« 1993 und der Anzeige gegen den ersten Täter vergehen noch einmal zehn Jahre bis zu seiner Anzeige gegen den zweiten Täter.

Spätestens nach der Flutwelle der kirchlichen Missbrauchsskandale 2010 dürfte auch Nicht-PsychologInnen klar sein, dass jahrzehntelanges Verdrängen und/oder Schweigen nach einem solchen Erlebnis kein Ausnahmefall ist. Neben Suizidalität, Medikamentensucht, Drogensucht, Essstörungen und Alkoholismus können Depressionen und Identitätsstörungen Folgen sexualisierter Gewalt sein. Dennoch können die Opfer jahrelang im Alltag »funktionieren« bevor das Erlebte über sie hereinbricht und ihnen den Boden unter den Füßen wegzieht. Nicht selten folgen Therapien, Arbeitsunfähigkeit und Klinikaufenthalte.

In seinem Kampf für Opferschutz sprach Denef im Dezember 2011 als Gastredner auf dem Bundesparteitag der SPD. Er forderte die PolitikerInnen auf, sich gegen die Verjährungsfristen einzusetzen. Sein Anliegen wurde auf dem Parteitag einheitlich unterstützt. Ein aktueller Gesetzesentwurf sieht allerdings lediglich vor, die Verjährungsfristen zu verlängern. Die Bundestagsfraktion der SPD ist nicht bereit, diesen zu überarbeiten und sich für eine vollständige Aufhebung einzusetzen. Aber Denef kämpft für Gerechtigkeit, nicht für Kompromisse: Er tritt in Hungerstreik. Seine Kritik richtet sich nicht nur gegen die SPD, sein passiver Widerstand »betrifft alle Parteien«, wie eine Pressemitteilung von Netzwerk B aus dem Juni diesen Jahres erklärt. Norbert Denefs Hungerstreik erregt nicht nur Aufmerksamkeit, sondern motiviert auch MitstreiterInnen, die sich auf der Webseite von Netzwerk B seinem Vorbild anschlossen.

Der Deutsche Bundestag lehnte 2008 Denefs Petition, die Verjährungsfrist von Sexualstraftaten im Zivilrecht aufzuheben, ab. Gegen diesen Beschluss läuft gegenwärtig eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Beschwerde kann unter folgendem Link eingesehen und unterstützt werden:

http//netzwerkb.org/beschwerde-eugh