Kristin Helberg hat sieben Jahre als Korrespondentin des NDR in Syrien gelebt. Ihr Wissen über Land und Leute hat sie nun in einem Buch verarbeitet. Es behandelt Themen wie das Zusammenleben der Konfessionen, den Aufstieg des Assad-Clans oder den Konflikt mit Israel um die Golanhöhen. Dabei lässt Helberg im Reportage-Stil viele Szenen mit Interviews einfließen. Durch diese Themenvielfalt ist Brennpunkt Syrien sehr viel mehr als Sekundärliteratur zum gegenwärtigen Konflikt. Zugleich ziehen sich Einschätzungen zur aktuellen Situation durch das ganze Buch. So schlüsselt die Journalistin und Politikwissenschaftlerin beispielweise die verschiedenen Strömungen der Opposition auf oder berichtet, auf welche Art und Weise sich der friedliche zivile Widerstand entwickelt. Da dieser oftmals sehr viel weniger mediale Aufmerksamkeit bekommt als die bewaffneten Rebellinnen und Rebellen, sind dies wertvolle Informationen.
Darüber hinaus weist Helberg auf einige Missstände in der Berichterstattung über Syrien hin. Dazu zählt sie das Misstrauen gegenüber syrischen Quellen. Sie stellt die These auf, dass kein Konflikt dieser Welt bisher so umfassend medial festgehalten worden ist wie der syrische. SyrerInnen dokumentierten von Anfang an mit Videos und Fotos die Gewalttaten des Regimes, die bereits seit mehr als eineinhalb Jahren andauern. Eine Art BürgerInnenjournalismus sei entstanden, der zum Teil ein hohes Maß an Professionalität aufweise. Oftmals hieße es dann jedoch in den deutschen Medien, dass diese Quellen nicht überprüfbar seien und dass man darum nicht wisse, was in Syrien wirklich vor sich gehe. Sie kritisiert diese Haltung, da die meisten Szenen ihrer Ansicht nach nicht gefälscht oder inszeniert werden könnten, zumal so viele Beiträge pro Tag hochgeladen werden.
Ein weiterer Aspekt betrifft die Berichterstattung ausländischer JournalistInnen. So berichtete Helberg bei einem Vortrag in Düsseldorf im September 2012, dass diese entweder mit Erlaubnis des Regimes einreisen oder illegal mit den Rebellinnen und Rebellen das Land betreten müssten. Die einseitige Erfahrung habe in beiden Fällen gravierende Auswirkungen auf die Berichterstattung, was aber kaum offen thematisiert werde.
An anderer Stelle erläutert die Autorin die "schizophrene" Haltung des Westens gegenüber Syrien in der Vergangenheit. Diese habe oftmals einen Einfluss darauf gehabt, welche ihrer Themen in Deutschland gut angekommen seien, je nachdem, ob der Diktator gerade in der Gunst des Westens stand oder nicht. So habe eigentlich niemand genau wissen wollen, dass in Syrien IslamistInnen oder vermeintliche IslamistInnen jahrelang am brutalsten verfolgt wurden und reihenweise in den Gefängnissen verschwanden.
In Zeiten, in denen hiesige JournalistInnen, die nicht einmal ein Wort Arabisch sprechen, zu ExpertInnen erklärt werden, kommt dieses Buch einer wirklichen Syrien-Kennerin gerade recht. Teilweise wirken die Texte jedoch wie schnell herunter geschrieben und kommen beinahe stichwortartig daher. Das mag der Aktualität geschuldet sein, denn das Buch deckt Ereignisse bis zum Sommer 2012 ab.
Das persönliche Engagement, welches aus den Texten herausklingt, mag man der Journalistin nicht ankreiden. Schließlich berichtet sie trotzdem auf eine differenzierte Art und Weise. Befremdlicher wäre es, wenn Helberg angesichts der furchtbaren Gewalt in ihrer zweiten Heimat einen nüchternen Bericht abliefern würde.
Kristin Helberg: Brennpunkt Syrien. Einblick in ein verschlossenes Land, 272 Seiten, Herder Verlag. 9,99 Euro.