Nicht länger nur Humanressource sein

StudentInnen rufen zum EU-weiten Streik auf Von

Sparmaßnahmen, Studiengebühren und Privatisierungspläne für die Universitäten sind der Hintergrund für einen von StudentInnen geplanten EU-weiten SchülerInnen- und StudentInnenstreik vom 10. bis 14. Dezember 2001. Unter dem Motto »We gonna take the power back« soll gegen das GATS-Abkommen (General Agreeement of Trade in Services) und seine Konsequenzen in Schule und Hochschule sowie die Bildungspolitik der Europäsichen Union protestiert werden. Wir dokumentieren den Aufruf in gekürzter Form.

Was so aufregt, ist die wieder brandaktuell aufgeflammte Diskussion um Studiengebühren, an der sich auch Politiker der Koalitionsparteien eifrig beteiligen. […] Auslöser der aktuellen Diskussion ist unter anderem das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, das die Einführung von Studiengebühren von 1000 DM pro Semester für ›Langzeitstudenten‹, also für Studenten, die die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester überschreiten, wie sie in Baden-Württemberg seit 1998 praktiziert wird, für rechtens erklärt hat.

Niedersachsens Wissenschaftsminister Thomas Oppermann (SPD) plädierte längst öffentlich für die Einführung von Studiengebühren. Beträge von bis zu 3000 DM pro Jahr stehen im Raum. Saarland und Bremen planen ebenfalls Gebühren für Langzeitstudenten. In Bayern wird schon jetzt beim Zweitstudium hingelangt. 1000 Mark pro Semester müssen die Studenten ab dem ersten Semester zahlen. Bundesweit bieten die Hochschulgesetze mehrerer Bundesländer die Möglichkeit, Gebühren für Aufbau- oder Ergänzungsstudiengänge zu erheben […].

Bildung für elitäre Zirkel

Damit, so scheint es, ist der Damm gebrochen: Das »Nein zu Studiengebühren«, das lange Zeit für ein vergleichsweise hohes Maß an Chancengleichheit in Deutschland sorgte, ist nicht mehr unumstößlich. Die Konsequenzen aus der ›kalten‹ Verteuerung des Studiums aus Semesterbeitragen, unzureichenden Bafög-Sätzen, etc. zeigen sich schon jetzt in einer aktuellen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks: Die Studierneigung sinkt, insbesondere bei den Kindern aus einkommensschwächeren Familien, z.B. aus Arbeitnehmerfamilien, die nicht zuletzt durch den Zwang zum Jobben während des Studiums bevorzugt zu ›Langzeitstudenten‹ werden. Es liegt auf der Hand: Studiengebühren in welcher Form auch immer können diese Situation nur verschärfen. [… Und es] stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum.

Längst, so scheint es, liegt die Weichenstellung in der Hochschul- und Bildungspolitik nicht mehr in den Händen der Bundespolitiker. […] Und tatsächlich: schaut man genauer hin, liegt der Schlüssel zur ministeriellen Wahlkampflüge in Brüssel - in den Händen der EU und nicht zuletzt bei der WTO (World Trade Organisation). Mit dem 1994 beschlossenen internationalen Handelsabkommen GATS (General Agreement of Trade in Services) ist man dort zur Zeit auf dem Wege, den Schul- und Hochschulsektor in die Hände der privaten Wirtschaft zu legen. Dienstleistungen, darunter auch Gesundheitsfürsorge und Bildung, werden unter dem GATS als handelbare Waren deklariert. Unter der Schirmherrschaft der WTO und vorbei an der demokratischen Kontrolle nationaler Parlamente soll GATS Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, weite Teile der Öffentlichen Dienste wie Verkehr, Touristik, Gesundheit, Telekommunikation, Transport, Wasserversorgung etc. nicht nur auf nationaler Basis sondern grenzüberschreitend zu übernehmen. Die EU-Länder haben sich gemeinschaftlich diesem Abkommen angeschlossen, das diejenigen Länder mit Handelssanktionen bedroht, die ihre Märkte, in diesem Fall den Dienstleistungssektor, nicht im vertraglich vereinbarten Maße für ausländische Unternehmen öffnen.

Geöffnet werden müssen früher oder später alle Sektoren, die nicht monopolistisch, staatlich geführt werden, so auch der Schulsektor, auf dem ja in Deutschland bereits einige private Einrichtungen tätig sind. Ausländische Unternehmen können sich mit dem GATS-vertraglich gesicherten Anspruch auf Gleichbehandlung mit Hilfe der WTO den Zugang zum öffentlichen Sektor eines Landes einklagen. Zur Zeit wird im Rahmen von GATS sowohl über die Liberalisierung des Gesundheitssektors als auch über Bildungspolitik verhandelt. Gleichzeitig werden in Deutschland für Unternehmen schon mal alle Wege in den Bildungssektor geebnet.

So werden deutsche Unis nicht nur mit dem Herantasten an Studiengebühren schon jetzt für Wettbewerbsbedingungen ›fit‹ gemacht. Mit der Umwandlung von staatlichen Hochschulen in Stiftungen wird es den Unis ermöglicht, in weit größerem Maße als bisher, Sponsorengelder einzusammeln und privatwirtschaftlich tätig zu werden. Nicht umsonst sitzt seit Mitte dieses Jahres mit der Uni Witten/Herdecke zum ersten Mal eine in Wissensvermarktung und Spendensammeln erfahrene Privat-Uni in der deutschen Hochschulrektorenkonferenz. Staatliche Hochschulen werden nun per bildungsministerieller Förderung dazu angehalten, eigene Patente professioneller zu vermarkten. Ein Gesetz zur Hochschulautonomie soll es den Unis ermöglichen, in noch größerem Umfang als bisher Studenten selbst auszusuchen und Studienschwerpunkte zu setzen. Mit allgemeinen Studiengebühren muss bei solchen marktorientierten Stiftungen natürlich gerechnet werden. Die Öffnung des Bildungssektors laut GATS wird auf nichts anderes als eine Privatisierung hinauslaufen und diese ist in ihren Grundzügen längst im Rahmen der EU ausgehandelt und auf nationaler Ebene nur noch umzusetzen. Eine Rückführung des Schul- und Hochschulbetriebes in staatliche Hände ist, sind diese Bereiche einmal für die Privatwirtschaft freigegeben, laut GATS-Vertrag praktisch unmöglich. Im Hinblick auf einen harten Wettbewerb um Sponsorengelder und einträgliche Koalitionen mit der freien Wirtschaft macht es in ministerieller Logik also durchaus Sinn, zur Attraktivitätssteigerung mehr Geld in die Forschung zu pumpen, während der Lehrbetrieb weiter sponsorenreif gespart wird. […]

Der Mensch wird zum Rohstoff

Längst sind in offiziellen Dokumenten und internationalen Verträgen innerhalb der EU Arbeitnehmer, Schüler oder Studenten zur ›Humanressource‹ geworden.

Der Sprachgebrauch spricht Bände: Da die Hauptaufgabe der Bildung nunmehr darin bestehen soll, ›Humanressourcen‹ im Dienste der Unternehmen auszubilden, verwundert es nicht, dass das Privatkapital - entsprechend seiner Marktlogik - dem Bildungswesen die eigenen Ziele und Prioritäten aufzuzwingen sucht. Bildung wird zusehends als Marktsegment behandelt. Politiker akzeptieren bereitwillig, dass der Markt über Ziele und Organisation der Bildung bestimmt. Auch das in weiten Teilen noch staatliche Bildungswesen versteht sich zunehmend als Zulieferbetrieb für maßgeschneiderte ›Humanressourcen‹. Überflüssiger Ballast wie soziale Fertigkeiten und allgemeine Bildung werden konsequent aus den Lehrplänen getilgt. So wird das Bildungswesen nach und nach zu einem ›Ort‹ der Kriegskultur. Die Trennlinie zwischen Gewinnern und Verlierern verläuft zwischen den Inhabern umfangreicher und zunehmend teurer erkaufter Bildung und ungebildeten ›Humanressourcen‹.

Trotz der Bemühungen zahlreicher Erzieher wird in unserem Bildungssystem die Auswahl der Besten immer wichtiger, die Förderung des Einzelnen und seiner Fähigkeiten treten in den Hintergrund. Die Bildung von Eliteschulen und die lange verpönte Hochbegabtenförderung sind dagegen längst wieder gesellschaftsfähig. Das Wissen, so die landläufige Rechtfertigung der neo-liberalen Globalisierung, ist zur bedeutendsten Ressource der new economy geworden. Darin wird das Wirtschaftsunternehmen und nicht die Schule zum Hauptort der menschlichen Förderung. Die Wirtschaft und nicht mehr der gesellschaftliche Konsens über wünschenswerte Fähigkeiten definiert die Organisation, Produktion, Aufwertung und Verbreitung des Wissens, das zählt. […] Zunehmend lässt sich die Politik dazu einspannen, in Forschung und Unterricht vornehmlich Unternehmergeist und Wirtschaftsdienlichkeit zu fördern. […]

Verkauft wird diese Logik des Neo-Liberalismus als Weg zu Vollbeschäftigung und Gerechtigkeit. Welcher Irrtum, zeigt doch gerade das Beispiel USA, wo der Weg hinführt: Trotz eines beispiellosen Wirtschaftsbooms in den 90ern, trotz geringer Arbeitslosigkeit, trotz des wohl weltweit höchsten Entwicklungsstandes in der Informations- und Kommunikationstechnologie, trotz Spitzenuniversitäten bleibt das allgemeine Schulbildungsniveau erbärmlich. Gespalten wird die Gesellschaft in der Folge in produktive und unnütze ›Humanressourcen‹. Ein neo-liberales Kastenwesen entsteht, aus dem es für die Angehörigen des neuen Proletariats der ›Nichtwissenden‹ kein Entrinnen gibt. […] ›Moderne‹ Ausländerpolitik zeigt, wo der Weg hinführt: Green-Cards für die Kaste der Wissenden, Abschiebungen für unnütze ›«Humanressourcen‹.

Internationale Aktionen sind sinnvoller

Bislang haben Studenten immer auf nationaler Ebene agiert. Die immer weiter abnehmenden Entscheidungsbefugnisse der Nationalstaaten macht es notwendig gegen das ›Diktat der internationalen Handelsabkommen‹ auch international vorzugehen.

[…] Die Bereiche Gesundheit und Bildung stehen auf der Tagesordnung. Da die Europäische Union, offiziell beraten von einer europäischen Lobbygruppe der Dienstleister - in der beispielsweise die Privat-Uni-Befürworter der Bertelsmannstiftung sitzen -, in ihrer Gesamtheit am GATS- Verhandlungstisch sitzt, ist es unbedingt notwendig, dass europäische Studenten gemeinsam gegen die Liberalisierung ins Ungewisse vorgehen. Sind doch nicht nur in Deutschland, sondern bereits in vielen EU-Ländern, die vorbereitenden Mechanismen einer Marktöffnung am Werke.

Während in Österreich in diesem Semester zum ersten Mal Studiengebühren zu zahlen sind und die Entwicklung in Deutschland ebenfalls darauf zuläuft, ist die Privatisierung der Bildung in England so gut wie abgeschlossen. In Österreich wird deshalb die Idee eines EU-weiten Schüler- und Studentenstreikes gut aufgenommen. GRAS (Grüne und Alternative StudentInnen), die zur Zeit den Vorsitz der Österreichischen HochschülerInnenschaft inne hat, und vermutlich auch die AKS (Aktion kritischer SchülerInnen) werden sich am Streik beteiligen. Auch aus Deutschland sind trotz vorlesungsfreier Zeit schon die ersten zustimmenden Reaktionen eingetroffen. Es macht immer weniger Sinn, nur auf nationaler Ebene zu agieren, da die wesentliche Beschlüsse zur Bildungs- und Hochschulpolitik in Brüssel bei der EU getroffen werden. Zur Zeit wird deshalb gezielt Kontakt zu allen europäischen Studentenorganisationen aufgenommen. Eine spezielle Website mit umfangreichen Informationen zum EU-weiten Streik wird in Kürze online gehen.

Weitere Informationen und Kontakt per Mail: eustudenten@gmx.net. Webseite: www.studi-protest.de.vu. Dort kann mensch sich auch in eine Mailingliste eintragen.