Armut macht die Umwelt kaputt

Der Statistiker Bjørn Lomborg vertritt die These, dass die meisten Umweltprobleme längst nicht so schlimm sind, wie vielfach gedacht. Zudem ließen sie sich meist auf die Armut zurückführen. Von Gerd Riesselmann

Der dänische Statistikprofessor Bjørn Lomborg untersucht in seinem Buch Apocalypse No! Wie sich die menschlichen Lebensgrundlagen wirklich entwickeln eine Vielzahl von Fragen, von der Lebenserwartung über Bildung bis zum Bevölkerungswachstum, vom Ressourcenverbrauch über Umweltbelastungen bis zur Krebsrate, vom Artensterben bis zum Treibhauseffekt. Stets lautet sein Fazit: »Die Lage ist besser - aber nicht unbedingt gut.« Besser als Organisationen wie das Worldwatch Institute oder Greenpeace für gewöhnlich verkünden, aber nicht gut im Sinne einer gerechten Welt. Trotzdem sei eine Verbesserung in den letzten Jahrzehnten festzustellen und diese würde sich auch in der Zukunft fortschreiben. In allen wichtigen Bereichen gibt es nach Lomborg »keine Katastrophe, aber ein Problem«.

Wie Lomborg argumentiert, sei hier exemplarisch am weltweiten Waldbestand dargestellt. Zunächst betrachtet er vier Erhebungen der Welternährungsorganisation FAO. Eine dieser Datenreihen weist einen in den letzten fünfzig Jahren leicht steigenden weltweiten Waldbestand aus, eine andere dagegen einen weltweiten Rückgang von 1,35 Prozent in 15 Jahren - allerdings sind die russischen Wälder in der letzen Studie nicht berücksichtigt. Eine neuere Untersuchung der FAO beziffert den Rückgang der Wälder auf 0,7 Prozent in den letzten zehn Jahren. Der Waldverlust ist freilich nicht gleich verteilt. Lomborg zitierte Untersuchungen der FAO aus den Achtzigerjahren, die einen jährlichen Verlust der tropischen Regenwälder von 0,8 Prozent konstatieren. Diese Zahl wurde 2001 aufgrund von satellitengestützten Daten auf jährlich 0,46 Prozent reduziert.

0,46 Prozent Verlust an tropischem Regenwald pro Jahr ist nach Lomborg zwar weniger als die von Umweltschutzorganisationen postulierten zwei bis fünf Prozent aber »immer noch hoch«. Die Gründe für den Rückgang der tropischen Regenwälder sieht er einerseits in der Herrenlosigkeit der Wälder, was zu wildem Abholzen und Rodungen durch SiedlerInnen führe, andererseits in der Armut der Drittweltstaaten, die sie dazu zwinge »das Tafelsilber zu verhökern«, also die Wälder abzuholzen, um kurzfristig Geld in die Kassen zu bekommen. So habe etwa Surinam der Holzindustrie Abholzungsrechte in einem Drittel seiner Wälder zugestanden und dafür Investitionen in Höhe des Bruttoinlandprodukts bekommen - ein »nahezu unwiderstehliches« Angebot. Auch der Waldrückgang in vielen Teilen Afrikas sei auf die Armut zurückzuführen. Hier sei vor allem der Bedarf an Brennholz die Ursache, da Brennholz dort bis zu fünfzig Prozent des Energieverbrauchs decke. Lomborgs Fazit lautet dementsprechend: »Im Kern stellen uns diese Probleme vor die Aufgabe, die Armut zu bekämpfen und für Wachstum zu sorgen«. Und: »Wenn die Industrieländer gegen den Verlust der tropischen Wälder angehen möchten, sollten sie den Entwicklungsländern etwas für den Erhalt der Wälder zahlen«, denn »wenn wir anerkennen, dass wir einen enormen Nutzen aus der Abholzung großer Teile unserer Wälder gezogen haben« - fünfzig bis siebzig Prozent des europäischen Waldbestandes sind in den letzen 1500 Jahren vernichtet worden -, »ist es scheinheilig, den Entwicklungsländern solchen Nutzen nicht auch zuzugestehen.«

Stellen wir dieser Argumentation nun einen typischen Verriss entgegen, etwa aus der Zeit: »Qualitative Deutungen etwa lässt Lomborg gern weg: Die Gesamtfläche der globalen Waldbedeckung habe sich seit 1950 ›nur wenig‹ verändert, so interpretiert er eine Studie der Welternährungsorganisation FAO. Aber ›wenig‹ heißt immer noch, dass in konkreten Regionen weiterhin kontinuierlich Wald geschlagen wird. Zudem rechnet die FAO auch frisch abgeholzte Flächen und biologisch relativ wertlose Pflanzungen auf früherem Waldgebiet in ihre Statistik ein. Und sie mahnt selbst zur Vorsicht im Umgang mit Zahlen, die manche Regierungen unzulänglich erfasst oder aus nachvollziehbarem Interesse geschönt haben könnten.« Das ist einerseits an Lomborgs Argumentation vorbei gezielt, andererseits völlig argumentfrei.

Es spricht einiges dafür, dass Lomborg mit vielen seiner Thesen Recht hat. Beispielsweise in der Frage der Überbevölkerung. Die gesamte Debatte zur Überbevölkerung fußt auf den Thesen, die Thomas Malthus 1789 vorbrachte: Die Bevölkerung vermehrt sich exponential, die Nahrungsversorgung linear. Mit anderen Worten: Die Bevölkerung verdoppelt sich in immer kürzeren Abständen, während sich die Nahrungsreserven in immer gleichen Zeitabständen verdoppeln. Folglich gibt es irgendwann nicht mehr genug zu essen. Darüber hatte sich schon Karl Marx lustig gemacht, und seit 1789, also seit 214 Jahren, ist Malthus' Vorhersage auch nicht eingetreten. Das hindert freilich eine ganze Riege von WissenschaftlerInnen nicht daran, sie weiterhin aller Empirie zum Trotz zu vertreten. Lomborgs Auseinandersetzung mit den modernen Malthus-ApologetInnen ist gründlich und überzeugend, seine Ergebnisse einleuchtend. Es gibt kein Überbevölkerungsproblem: »In praktisch jeder Beziehung ist die Menschheit inzwischen besser ernährt. Die grüne Revolution hat gesiegt. In den Entwicklungsländern hat sich die Produktion verdreifacht, die Kalorienaufnahme pro Kopf ist um 38 Prozent gestiegen. Der Anteil hungernder Menschen ist von 35 auf 18 Prozent gesunken.« Und das alles bei einer Weltbevölkerung, die sich seit 1960 verdoppelt hat. Und es nicht abzusehen, dass eine Grenze erreicht wäre. Natürlich bestreitet Lomborg nicht, dass es Hunger auf der Welt gibt, doch sieht er auch hier die Ursache in der Armut, nicht in der Bevölkerungszahl.

Lomborg kommt für eine ganze Reihe von Umweltproblemen zu ähnlichen Ergebnissen: Während in den Industrieländern Verschmutzungen und Belastungen extrem zurückgingen und -gehen werden, nehmen sie in den Entwicklungsländern zu oder sinken nur langsam. Dies sei eine Folge des ungleich verteilten Reichtums in der Welt. An diese Argumentation - Umweltprobleme entlang der sozialen Frage zu diskutieren - kann angeknüpft werden, auch wenn Lomborg immer wieder zu neoliberalen Positionen tendiert.

Das längste Kapitel in Lomborgs Buch befasst sich mit dem Treibhauseffekt. Es bietet eine sehr umfassende Darstellung der vom Internationalen Klimabeirat der Vereinten Nationen (IPCC) vorgelegten Szenarien. Es handelt sich dabei um vier mögliche Extrapolationen der Entwicklung des Weltklimas, die noch einmal in Subszenarien unterteilt werden. In die Modelle gehen Erkenntnisse der Klimaforschung ebenso ein wie verschiedene Annahmen über die zukünftige Umweltpolitik der Staaten. Je nach Parametrisierung sagen die Modelle einen Temperaturanstieg von 2 bis 4,5 Grad bis zum Jahr 2100 voraus.

Lomborg diskutiert ausführlich die einzelnen Parameter, die den Simulationen zugrunde liegen, sowie die Wahrscheinlichkeit, mit der sie eintreten werden. Etwa hält er die Annahmen über den Zuwachs des Verbrauchs erneuerbarer Energien wie Solar- oder Windenergie für zu pessimistisch. So werde der in den Szenerien erst »gegen Ende des Jahrhunderts erwartete Preis für Solarenergie von den meisten Untersuchungen schon in wenigen Jahrzehnten erwartet. Es scheint also plausibel, dass erneuerbare Energie entweder von sich aus oder mit relativ wenig politischem ›Anschub‹ noch vor Mitte des 21. Jahrhunderts konkurrenzfähig ist.« Deshalb komme es wahrscheinlich zu einem geringeren Temperaturanstieg von 0,7 Grad bis 2050, wonach die Temperatur wieder sinken würde. Sollte sich die Umstellung auf regenerative Energiequellen verzögern, weil diese nicht wie bisher alle zehn Jahre um die Hälfte billiger würden, sondern nur um etwa dreißig Prozent, wäre ein Temperaturanstieg um 1,5 Grad bis 2100 zu erwarten, wonach die Temperatur aber ebenfalls wieder fallen würde. Die wichtigste politische Maßnahme sei deshalb die Erhöhung der Forschungsetats für Sonnen- und Windenergie, um diese effizienter und früher billiger zu machen. Eine solche Postition ist vertretbar, da sie sich argumentativ begründet und ihre Annahmen offen legt. Freilich muss sie deshalb nicht richtig sein.

Was das Buch lesenswert macht, ist sein Faktenreichtum und seine Argumentationsfülle. Die Auseinandersetzung mit Lomborg ist deshalb durchaus fruchtbar und Erkenntnis bringend.

Bjørn Lomborg: Apocalyse No! Wie sich die menschlichen Lebensgrundlagen wirklich entwickeln, zu Klampen Verlag, Lüneburg 2002, 29 Euro.

Auf Lomborgs Webseite www.lomborg.com werden Fehler des Buches richtig gestellt und Debattenbeiträge dokumentiert. Auf www.greenspirit.com/lomborg wird eine Debatte zwischen Lomborg und vier seiner Kritiker aus Scientific America dokumentiert. Auch Lomborg-GegnerInnen haben sich eine Webseite geschaffen: www.anti-lomborg.com.