Pünktlich zur letzten Buchmesse in Frankfurt erschienen zwei Bücher zum Stand der »Antiglobalisierungsbewegung« in Italien, zur historischen Einordnung dieser Bewegung und zur Einschätzung der Berlusconi-Regierung.
Das Buch Genua. Italien, Geschichte, Perspektiven von Dario Azzelini geht von den Protesten gegen den G8-Gipfel im Sommer 2001 aus. Es schildert diese zum Eingang des Buches noch einmal kurz, vor allem die brutalen Polizeiübergriffe. Diese staatliche Eskalationsstrategie ist in Italien nichts Neues. Sie wurde unter dem Namen »Strategie der Spannung« bekannt und ist in den Sechziger- und Siebzigerjahren massiv gegen antagonistische Bewegungen angewandt worden. Diese Bewegungen werden ebenfalls im Buch geschildert.
Auch heute erreichen sowohl die Mobilisierungs- und Aktionsfähigkeit der Linken in Italien als auch die staatliche Repression für Westeuropa ungewöhnliche Ausmaße. Verschiedene SprecherInnen der Linken in Italien kommen im Buch in Interviews zu Wort. Die Disobbedienti, die Azzelini politisch am nächsten stehende Gruppe, sind überrepräsentiert. Reformistische Ansätze wie Attac fehlen allerdings ebenso wie Stimmen aus dem autonomen und anarchistischen Spektrum. Trotz dieses Mangels gibt das Buch einen recht guten Eindruck vom Stand der Bewegung in Italien. Dort ist die Aktivität nicht auf Events wie Genua beschränkt, sondern findet auch im Alltag in Schulen, Hochschulen, Stadtteilen und Betrieben statt. Letztere sind durch die Ausdehnung auf einen Teil der etablierten Gewerkschaften zu einem Schauplatz der Bewegung geworden.
Italien hat aber auch die mit Abstand größte und kontinuierlichste rechte und rechtsradikale Bewegung in Europa. Dies ist Hauptthema des Buches Marsch auf Rom. Faschismus und Antifaschismus in Italien von Gerhard Feldbauer. Dieser beginnt bei der Machtübergabe an Mussolini im Jahre 1922. Er schildert die Entwicklung der antifaschistischen Bewegung, die 1943/44 Teile Norditaliens ohne alliierte Hilfe vom Faschismus befreien konnte. Die größte Kraft dieser Bewegung, die Kommunistische Partei, erfährt entsprechend der politischen Vorliebe des Autors besondere Berücksichtigung. Im weiteren Verlauf der Schilderung werden aber auch andere linke Strömungen berücksichtigt.
Das Beste an Feldbauers Buch ist die Darstellung der faschistischen Kontinuität in Italien. Die faschistische Movimento Sociale Italiano (MSI) wurde 1947 gegründet, ihre Vorgängerin - Uomo Qualunque - bereits 1945. Die lange regierenden ChristdemokratInnen haben sich nie eindeutig nach rechts abgegrenzt und in Fällen wie Gladio und der in den Siebzigerjahren sehr harten Repression gegen die radikale Linke mit faschistischen Gruppen zusammengearbeitet. Auch die Sozialistische Partei war Bestandteil dieser illegalen Strukturen. Nach dem Zerfall der etablierten Parteien Anfang der Neunzigerjahre konnte Berlusconis Partei Forza Italia mit ihren rechtsextremen Verbündeten in diese Lücke stoßen.
Die Lektüre der beiden Bücher hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits gibt es in Italien eine auf eindrucksvolle Weise mobilisierungs- und aktionsfähige Linke. Andererseits gibt aber die Stärke der italienischen Rechten, die in der Bevölkerung wesentlich größeren Rückhalt hat, Anlass zu großer Sorge. Die italienische Rechte weist eine seit dem Ersten Weltkrieg fast ungebrochene Kontinuität auf. Sie ist selbst eine soziale Bewegung. Die Frage, ob Italien zum Vorreiter eines anderen Europa in einer anderen Welt oder des europäischen Faschismus wird, können beide Bücher nicht beantworten. Zur Orientierung über die Situation in Italien sind sie jedoch sehr empfehlenswert.
Gerhard Feldbauer: Marsch auf Rom. Faschismus und Antifaschismus in Italien, PapyRossa, Köln 2002, 14,80 Euro.
Dario Azzelini: Genua. Italien, Geschichte, Perspektiven, Assoziation A, Berlin 2002, 12 Euro.