Berlinale 2003: Alles ist auf den drohenden Irakkrieg fixiert, doch das Kino ist kein aktuelles Medium. So finden sich im diesjährigen Wettbewerb drei Spielfilme über ein Thema, das zur Zeit ansonsten weit in den Hintergrund gerückt ist: Die Situation von Flüchtlingen auf ihrem Weg aus dem Elend ins »gelobte Land« Europa.
Lichter, der Film von Hans-Christian Schmid (Crazy), spielt an der deutsch-polnischen Grenze zwischen Frankfurt an der Oder und Slubice und zeigt in Parallelhandlungen die ineinander verflochtenen Geschichten einiger Menschen, für die diese Grenze Bedeutung bekommt: der kleine Zigarettenschmuggler, dessen Freundin die aus dem Zugfenster geworfenen Stangen aufliest; die UkrainerInnen, die von SchlepperInnen auf der falschen Seite der Grenze ausgesetzt werden; die Dolmetscherin der Grenzbehörden, der einer der Fälle mehr zu Herzen geht, als ihr Freund wahrhaben will; der polnische Taxifahrer, der verzweifelt auf ein Geschäft aus ist; ein junger Architekt, der mit der harten Realität des Geschäfts noch nicht vertraut ist und seine ehemalige polnische Freundin, die sich auf ihre Weise arrangiert hat. Alle haben sie ihre Träume und alle werden sie betrogen. Schmid stellt die Flüchtlingsschicksale nicht ins Zentrum seines Films, sondern lässt den Geschichten von GrenzbeamtInnen, SchlepperInnen oder FluchthelferInnen genauso viel Raum - ein spannender Ansatz, der allerdings auf Kosten der Intensität der einzelnen Figuren geht.
Ganz anders In This World des Engländers Michael Winterbottom, der mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde: Nie entfernt sich die Kamera von den beiden Protagonisten Jamal und Enayat, zwei jungen Afghanen auf dem Weg vom Flüchtlingslager im pakistanischen Peshawar durch den Iran, die Türkei, per Schiff über Triest und Frankreich nach London zum Onkel der beiden Cousins. In streng dokumentarischem Stil zeigt Winterbottom die Stationen der Flucht und spart auch die Szenen im Bauch des Schiffes nicht aus, als die Luft langsam knapp wird und in völliger Finsternis ein Flüchtling nach dem anderen erstickt. Das Ziel des Films ist klar: Nie wieder sollen die europäischen ZuschauerInnen die Containertüren solcher Schiffe nur von außen aufgehen sehen. Und er löst diesen Anspruch mit großer Konsequenz ein - das macht den Film manchmal schwer erträglich, im guten Sinn »wichtig« ist er allemal.
Noch einmal eine andere Perspektive nimmt der dritte Film zum Thema ein, Rezervni Deli, Ersatzteile von Damjan Kozole aus Slowenien. Diesmal sind es zwei Mitglieder einer SchlepperInnenbande, die im Zentrum der Handlung stehen: Ludvik, der krebskranke Witwer und Ex-Speedway-Fahrer und der junge Rudi, der angelernt wird im »Schleusergeschäft«, bei dem Flüchtlinge im LKW quer durch Slowenien zur italienischen Grenze transportiert werden. »Ersatzteile« nennen die beiden die Menschen, die hinter ihnen in den LKW gepfercht sind - ein Begriff mit dreifacher Bedeutung: Zum einen als Tarnbezeichnung für ihre »Fracht«; zum anderen, weil tatsächlich manche der Flüchtlinge in Italien oder anderswo eine Niere oder andere Organe verkaufen, um zu überleben; und schließlich im übertragenen Sinn: die Flüchtlinge als billige, rechtlose Reservearbeitskräfte Europas.
Erstaunlicherweise ist trotz der Perspektive des Films aus Sicht der Schlepper der slowenische Film der wirkungsvollste zur Thematik: Zwischen schlechtem Gewissen und Abstumpfung, zwischen Angst und Rassismus, zwischen Gleichgültigkeit und Resignation schwankt schließlich auch die Haltung der übergroßen Mehrheit der EU-Bevölkerung.
Lichter und In This World werden in den nächsten Monaten bei uns in die Kinos kommen; ob Rezervni Deli hierzulande ebenfalls einen Verleih finden wird, dürfte allerdings fraglich sein. Für eine aktuelle Filmreihe zur Flüchtlingsproblematik eignen sich alle drei Filme.