Wenn es nach dem nordrhein-westfälischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung geht, sollen studierende Eltern ihre Kinder künftig in zwei Jahren erziehen, Gremienarbeit sich auf drei Semester beschränken und behinderte StudentInnen nur zwei Jahre länger gebührenfrei studieren dürfen als ihre nichtbehinderten KommilitonInnen.
So sieht es das Studienkonten- und -finanzierungsgesetz vor, das zum Sommersemester 2004 in Kraft treten soll. Seit dem 6. Oktober liegt nun auch eine verbindliche Fassung der Rechtsverordnung vor, deren Veröffentlichung eigentlich schon für September angekündigt war. Die dazugehörigen Verwaltungsvorschriften lassen weiter auf sich warten. Wer nun aber zahlen muss und wer nicht, ist dennoch nicht ganz klar: Vor allem die Rechtsverordnung, die die Ausführungsbestimmungen für das Studienkontengesetz regeln soll, verliert sich in zahlreichen Sonderregelungen für die abstrusesten Fallbeispiele: Von A-, B- und C-Kadern der Olympiastützpunkte bis zu StudentInnen in Studiengängen, die ausschließlich aus Drittmitteln finanziert werden, ist an alle gedacht. Auf der anderen Seite enthält sie vor allem schwammige Formulierungen, deren Auslegung sogar JuristInnen Kopfzerbrechen bereitet.
Dennoch sollen die 500000 StudentInnen in NRW bereits im Sommersemester 2004 ihre Anträge auf Gewährung von Bonusguthaben stellen - und zwar für ihr komplettes bisheriges Studium einschließlich des Sommersemesters 2004. Wer beispielsweise 2002 durch Krankheit ein Semester verloren hat, den Antrag aber nicht samt ärztlichem Attest rechtzeitig einreicht, verliert seinen Anspruch, das Studium um dieses eine Semester gebührenfrei zu verlängern. Das heißt aber auch, dass alle StudentInnen Anträge auf Verdacht stellen müssen, auch wenn sie glauben, das Studium in der vorgegebenen Zeit abzuschließen. Wie die Universitäten den enormen bürokratischen Aufwand bewältigen sollen, steht noch nicht fest: Alle Anträge müssen bearbeitet und positiv oder negativ beschieden werden. In Niedersachsen, wo ein vergleichsweise simples Langzeitstudiengebühren-System eingeführt wurde, beliefen sich die Mehrkosten für den Verwaltungsaufwand bei rund 155000 StudentInnen auf 300000 Euro.
Eine Studienzeitverlängerung rechtfertigen nach dem jetzigen Stand der Rechtsverordnung die Erziehung von Kindern, die Arbeit in studentischen und universitären Gremien, sowie Krankheit und Behinderung. Grundsätzlich bleibt das Erststudium laut Studienkonten- und -finanzierungsgesetz bis zur anderthalbfachen Regelstudienzeit gebührenfrei. Danach werden 650 Euro pro Semester fällig, wenn kein anerkannter Verzögerungsgrund geltend gemacht wurde.
Dass ohne studienverzögernde Faktoren beispielsweise bei einem neunsemestrigen Magisterstudiengang vierzehn Semester gebührenfrei studiert werden kann, StudentInnen mit Kind aber nach dem achtzehnten Semester gebührenpflichtig werden, wird im Wissenschaftsministerium nicht als Benachteiligung gesehen. Ausländische StudentInnen, die in ihrem Herkunftsland bereits ein Studium absolviert haben, gelten in Nordrhein-Westfalen künftig als StudentInnen im Zweitstudium und werden damit gebührenpflichtig. »Auch der Diplom-Traktorist aus Georgien, der nach den Kriterien des BAföG-Amtes Förderung erhielte, weil sein Hochschulabschluss in Deutschland nicht als berufsqualifizierende Ausbildung gilt, fällt unter diese Regelung. Dabei ist sein Abschluss hier ungefähr so viel wert wie ein Volkshochschulkurs Bridge«, moniert Markus Struben, Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS).
Grundsätzlich können Bonusguthaben ohnehin nur auf das Erststudium angerechnet werden. Wer nach dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss ein Zweitstudium beginnt, fällt nicht mehr unter die Ausnahmeregelungen. »Nach dem Hochschulrahmengesetz darf niemand wegen seiner Gremienarbeit an der Universität benachteiligt werden«, argumentiert Struben. Durch die NRW-Studiengebühren würde das Engagement jedoch faktisch auf drei Semester des Erststudiums beschränkt. Ebenso würden Kindererziehung und Behinderung hier nicht berücksichtigt.
Das ABS kündigte bereits politische und juristische Schritte gegen die Pläne der Landesregierung an. Zuletzt hatte das Ministerium die Strafgebühren von 25 Euro für verspätete Rückmeldung und verlorene StudentInnenausweise vorübergehend auf Eis gelegt, nachdem das ABS in Zusammenarbeit mit mehreren ASten Musterklagen einreichte.