Unscheinbare graue Türen gibt es viele an der Kölner Universität. Die graue Türe im Untergeschoss des Hauptgebäudes macht da keine Ausnahme. Zumal nichts darauf hindeutet, dass sich hinter dieser Türe eben nicht die Hausdruckerei oder eine andere universitätsübliche Institution befindet. Und doch verbirgt sich hinter ihr ein für eine Universität eher ungewöhnliches Phänomen: Ein Bergwerkstollen.
Ursprünglich befand sich der so genannte Barbarastollen im Museum für Handel und Industrie am Römerpark. 1932 wurde der künstliche Stollen an die Universität Köln verlegt, wo er StudentInnen in technischen Studiengängen als Anschauungsobjekt diente.
Während des Zweiten Weltkriegs geriet der Stollen, der sich unter dem Hauptgebäude von Süden nach Norden erstreckt, in Vergessenheit. Wieder entdeckt wurde er in den Achtzigerjahren eher zufällig. Eine aufgebrochene Tür, von der man nicht gewusst habe, was sich dahinter befand, sei der Ausgangspunkt gewesen, erzählt Tim Erren. Er ist Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Sozialhygiene und führt heute eine zirka dreißigköpfige BesucherInnengruppe durch den Stollen. Die Existenz des Bergwerks war weder in Plänen noch in Aufzeichnungen der Universität dokumentiert gewesen. In Betrieb genommen wurde es nach jahrelangen Instandsetzungsarbeiten Mitte der Neunzigerjahre.
Zwei Stockwerke tief geht es über eine Treppe in die Katakomben des Hauptgebäudes. Neben der Eingangstüre hängt stilgerecht eine Tafel mit der Aufschrift »Gewerkschaft ÖTV«. Obwohl tief unter dem Erdboden gelegen, ist es hier anders als in Kellern relativ warm, die Temperatur liegt bei etwa 25 Grad. Schon steht man im Gewölbe des Übungsschachtes, der in seinen verschiedenen Abschnitten unterschiedlichen Ausbauweisen nachempfunden ist. Neben dem thüringischen und polnischen Holzausbau wird ein Teil des Schachtes auch von einem Metallring gestützt, der nicht nur Decke und Wände sichert, sondern auch den Bodenbereich befestigt. Denn auch Steinschlag von unten ist ein häufiges Phänomen unter Tage. Dennoch, so Erren, bevorzugen die Kumpels die nicht ganz so stabile Holzausbauweise: Im Gegensatz zum Metall kündigen die Holzbalken durch entsprechende Geräusche ein drohendes Einbrechen des Stollens an. An den Wänden des Schachtes zeichnen sich diagonale Schichten von Kohle, Erde und Gestein ab. Wie diese Materialien an der Wand aufgeschichtet wurden und wie dick die Kohlelage tatsächlich ist, weiß niemand so genau. Gerne würde er einmal Mäuschen spielen und, wenn er alleine im Stollen unterwegs ist, in die Wand bohren, witzelt Erren.
Heute dient das Bergwerk dem Institut für Arbeitsmedizin als Versuchsstollen zur Erforschung arbeitsbedingter Krankheiten. Hier könne man die Ursachen für verschiedene Krankheiten, wie zum Beispiel die so genannte Staublunge, sehr gut untersuchen, weiß Erren zu berichten. Die Staublunge, eine verbreitete Krankheit unter Bergleuten, bei der sich Kohlenstaub auf das Lungengewebe setzt und so die Funktionsfähigkeit einschränkt, sei auch Ursprung des Ausdrucks »weg vom Fenster«. In den BergarbeiterInnensiedlungen im Kohlenpott sei es üblich gewesen, dass die pensionierten ArbeiterInnen am Fenster saßen, um am Leben auf der Straße teilzunehmen. Dabei stützten sie sich mit den Ellenbogen am Fensterbrett ab, was die strapazierte Lunge in eine stabile Position brachte. Wer starb oder bettlägerig wurde, sei so im wahrsten Sinne des Wortes »weg vom Fenster« gewesen, erläutert Erren.
Auch historisch ist das Bergwerk bedeutsam, ist es doch voll funktionsfähig - und zwar auf dem Stand der Dreißigerjahre. Auf dem Boden erstreckt sich ein kleines Schienennetz für die Loren, in denen die abgebaute Kohle transportiert wird. Neben Förderbändern für Kohle erblicken die BesucherInnen Bohrer, Kompressoren, Zahnräder, Schaufeln und einen funktionstüchtigen Lastenaufzug in einem Gitterverschlag. »Der Stollen spiegelt jedoch nicht nur die Zustände dieser Zeit wider, sondern auch diejenigen, die heute noch in vielen Ländern herrschen«, so Erren. Inklusive der in vielen Bergwerken üblichen Kinderarbeit. Dass Kinderarbeit in den Dreißigerjahren auch in Deutschland gang und gäbe war, verdeutlicht er anekdotenhaft. »Die bekannte Geschichte von den fleißigen Heinzelmännchen hat ihren Ursprung in der Kinderarbeit.« Schon die Höhe einiger Schächte verdeutlicht, dass dort aufgrund der Enge nur Kinder arbeiten konnten.
Inzwischen haben sich im Bergbau die Arbeitsschutzbestimmungen geändert: Es gibt keine Kinderarbeit mehr und auch die Krankheitsvorsorge hat sich dank der Forschung in der Arbeitsmedizin verbessert. Aktuelles Problem der BergarbeiterInnen ist wohl eher die immer häufiger drohende Arbeitslosigkeit. Der größte Teil der arbeitslosen Kumpels, so Erren, findet neue Arbeit in Pflegeberufen. Dort seien sie aufgrund ihrer ausgeprägten sozialen Kompetenz gern gesehen. »Unter Tage muss sich angesichts der gefährlichen Arbeit jeder bedingungslos auf den anderen verlassen können«, erklärt Erren dieses Phänomen.
Zum Abschluss kommt er dann auch auf die vielfältigen Gefahren zu sprechen, die mit der Arbeit in einem Bergwerk verbunden sind. Generell seien der Funkenschlag und die Explosionsgefahr durch Methangas, so genanntes Grubengas, die größten Probleme. Zur Illustration führt er ein Beispiel an: Irrlichter über Mooren. Diese, so Erren, hätten eben explodierendes Methangas als Ursache. Um diese Gefahrenherde zu minimieren, verfügt der Stollen daher nicht nur über ein ummanteltes Telefon, sondern auch über ein funktionierendes Abluftsystem und eine Wettertüre, die den Druckausgleich reguliert. Einen Kanarienvogel, der bei Sauerstoffmangel von der Stange kippen und die ArbeiterInnen warnen könnte, braucht der Uni-Stollen allerdings trotz Dreißigerjahre-Ausstattung nicht. Und auch in modernen Bergwerken gibt es inzwischen andere Warnsysteme.
Dort kann allerdings immer noch jeder Metallgegenstand unter Tage eine Explosion verursachen. Deshalb, so Erren seien beispielsweise die Metallkoffer der Grubenärzte in den Sechzigerjahren an den Kanten abgedämmt worden, sodass beim Aufsetzen des Koffers die Gefahr des Funkenschlags minimiert wurde. Dass der Boden im Bergwerk reinlich gefegt ist, mag manchen verwundern. Wegen der Gefahr einer Staubexplosion, bei der Kohlenstaub mit Luft eine explosive Mischung bildet, so erklärt uns Erren, sei dies nicht nur in Übungsbergwerken der Fall.
Vielleicht hätte er auch auf die geringe Höhe des Stollens hinweisen sollen. Stieß sich doch einer unserer Redakteure beim Verlassen den Kopf an einem der Holzquerbalken an. Am Ausgang des Bergwerks hält Claus Piekarski, Professor für Arbeitsmedizin, in einem Kühlschrank für solche und andere Notfälle dann auch ein Schnäpschen für BesucherInnen bereit.