Nicht nur in der Hochschulpolitik sind Statistiken, Evaluationen und Umfragen ein Mittel zur Meinungsmache. Das Ergebnis wird im Sinne der AuftraggeberInnen mittels Festlegung der Berechnungsgrundlage oder der Fragestellung vorweggenommen. So wundert es kaum jemanden, wenn der Gewerkschaftschef im Fernsehen eine ganz andere Statistik zur Steuerbelastung zitiert als der ArbeitgeberInnenpräsident. Meinungsumfragen suggerieren stets eine gewisse Seriosität oder »Repräsentativität«, aber gerade im Internet sind sie leicht zu manipulieren. Online-Umfragen werden deshalb in der Regel nicht allzu ernst genommen, aber »richtige« Umfragen werden oft ungeprüft akzeptiert.
Zweimal spielten Umfragen zum Thema Studiengebühren eine politische und publizistische Rolle: 1998 und 2003 stellte das Meinungsforschungsinstitut Forsa fest, die Mehrheit der StudentInnen sei für die Einführung von Studiengebühren. In Auftrag gegeben wurden die beiden Erhebungen vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das seit Jahren als Stichwortgeber für die wirtschaftsliberale Umgestaltung der Hochschulen fungiert.
Veröffentlichungszeitpunkt und Ergebnis der Umfragen waren nicht zufällig, die CHE-Pressemitteilung vom 3. März 1998 gut platziert. Nachdem SPD und Grüne in Folge der großen StudentInnenstreiks im Wintersemester 1997/1998 die Novelle des Hochschulrahmengesetzes im Bundesrat kippen wollten, ließ das CHE wenige Tage vor der Bundesratsentscheidung die Katze aus dem Sack: Die Mehrheit der BundesbürgerInnen und der Jugendlichen sei für Studiengebühren. Das Ziel der Aktion formuliert das CHE recht offenherzig, über die Methode schweigen sie sich aus. Denn in der Umfrage stand gar nicht zur Debatte, ob man für oder gegen Studiengebühren sei. Vielmehr wurde gefragt, welche Form von Gebühren man akzeptieren würde. Es wurden verschiedene Modelle von »Gebühren, die in den Landeshaushalt fließen« bis »Gebühren, die den Hochschulen zugute kommen und für die es günstige Darlehen gibt« zur Auswahl gestellt - von »Abzocke« bis »sozial abgefedert mit Zweckbindung« also. Den Befragten wurde suggeriert, sie könnten das »geringere Übel« auswählen. Ein weiterer »Zufall«: Das Modell, das am besten abschnitt, das auch die meisten »positiven« Konditionen enthielt, entsprach genau dem eigenen Gebührenvorschlag des CHE.
Erfrischend ehrlich ist dagegen das Forsa-Institut. Es kommentierte 1998 die CHE-Umfrage mit: »Ziel der Befragung war es, die Akzeptanz verschiedener, in Zusammenhang mit der Erhebung von Studiengebühren diskutierter Vorschläge zu ermitteln.« Das hat sich auch 2003 nicht geändert: Wieder wurde nach verschiedenen Modellen von Studiengebühren gefragt, wieder konnte man nicht »gegen Studiengebühren« sein, wieder meldete das CHE freudestrahlend »Studierende mehrheitlich für Studiengebühren« und wieder griffen die Medien die vermeintliche Sensation freudig auf. Offenbar kam niemand auf die Idee, sich darüber zu wundern, dass in der Pressemitteilung weder die Zahl der Ablehnungen (woher auch?), geschweige denn die komplette Fragestellung veröffentlicht wurde.
Doch in vielen Köpfen sind die CHE-Meldungen von 1998 und 2003 hängen geblieben - im Gegensatz zur Forsa-Umfrage von 1996, bei der sich lediglich 28 Prozent der BundesbürgerInnen und 24 Prozent der Menschen unter dreißig Jahren für Studiengebühren aussprachen. Denn statt sich mit der sozialen Frage der Studiengebühren politisch zu beschäftigen, scheint es einfacher zu sein, unbequeme Proteste zu disqualifizieren, da sie nicht der politischen Praxis von Regierung, Opposition und Kapital entsprechen. Wie schön ist es doch, stattdessen wieder die alte Platte aufzulegen, die studentischen FunktionärInnen agitierten gegen die Mehrheit ihrer Klientel. Doch macht eine »gewonnene« Umfrage eine sozial ungerechte Politik zu einer gerechten Politik? Schon bald wird uns das CHE wohl wieder eine längst bekannte Antwort anbieten - ungebeten, mit viel Aufwand ermittelt, und an der Sache vorbei.