36 Menschen erhielten im Januar dieses Jahres offiziell Asyl in der Bundesrepublik Deutschland. 36 Menschen: das sind etwas mehr als eine durchschnittliche Realschulklasse oder ein durchschnittliches Proseminar. Im ganzen Jahr 2004 wurde lediglich 960 Personen Asyl gewährt, die Anzahl der AntragstellerInnen lag mit insgesamt 35607 so niedrig wie seit 1984 nicht mehr.
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sieht darin einen »Erfolg der politischen Anstrengung der Bundesregierung.« Durch die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes und die vorausgegangene »intensive politische Debatte« wäre in aller Welt deutlich geworden, »dass der Missbrauch des Asylrechts kein Erfolg versprechendes Mittel der Zuwanderung nach Deutschland ist«, so Schily in einer Presseerklärung. Er verwies darüber hinaus auf Bosnien-Herzegowina und Afghanistan als erfolgreiche Beispiele bundesdeutscher Flüchtlingsprävention. In beiden Regionen sei Deutschland seit Jahren sehr engagiert, um »die Lebensbedingungen für die Menschen vor Ort zu stabilisieren und zu verbessern«.
»Unter Rot-Grün tendiert der Flüchtlingsschutz gegen Null«, kritisiert dagegen Pro Asyl. Die rot-grüne Regierungskoalition und Schily befänden sich angesichts dieser Minusrekorde im Erklärungsnotstand, denn die Zahlen stünden in krassem Widerspruch zum weltweiten Flüchtlingselend. »Dass Flüchtlinge immer seltener in Deutschland Asyl beantragen, ist weniger ein Indikator für ein geringeres Schutzbedürfnis als ein Beleg für die effektive Abschottung Deutschlands und Europas gegen Flüchtlinge«, beklagt Pro Asyl.
Allerdings ist EU-weit die Anzahl der AsylbewerberInnen konstant geblieben und liegt bei ungefähr 320000 pro Jahr, allen Anstrengungen der Union und ihrer Mitgliedsstaaten zum Trotz, Flüchtlinge gar nicht erst auf ihr Territorium kommen zu lassen. Beantragten 1998 noch rund ein Drittel der Flüchtlinge Asyl in Deutschland, waren es 2004 nur mehr elf Prozent. Dabei leben in Deutschland 22 Prozent der Bevölkerung der EU, und die deutsche Wirtschaft erzeugte etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Gemeinschaft. Hatten Schily und seine Amtsvorgänger in den Neunzigerjahren noch auf eine »gerechtere Verteilung der Flüchtlinge« gepocht, wehrt er sich nun in den Sitzungen des europäischen Rats für Justiz und Inneres mit Händen und Füßen gegen eine solche Regelung.
Weltweit nehmen die Länder der so genannten Dritten Welt weiterhin die Mehrzahl der rund zwölf Millionen Flüchtlinge auf. Nach einer Studie der Flüchtlingsorganisation UNHCR erhalten mehr als siebzig Prozent aller Flüchtlinge Asyl in einem Entwicklungsland. Insgesamt 560000 SudanesInnen haben ihr Heimatland aufgrund des Bürgerkrieges verlassen müssen und wurden von den Nachbarländern aufgenommen.
Seit der Wiederwahl der rot-grünen Regierung im Jahr 2002 hat sich die Zahl der AsylbewerberInnen halbiert. Im Jahr 2004 beantragten fast 15000 Menschen weniger Asyl als noch im Vorjahr. Das ist ein Rückgang um dreißig Prozent. Im Jahr 2002 wurden noch 71000 Anträge auf Asyl gestellt, in den Vorjahren suchten zwischen 78000 und 95000 Menschen in Deutschland Schutz vor politischer Verfolgung.