MigrantInnenkinder sind die VerliererInnen des deutschen Bildungswesens. Laut einer Studie der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck bleiben etwa ein Drittel aller ausländischen Jugendlichen ohne Ausbildung, bei ihren deutschen AltersgenossInnen liegt dieser Anteil bei acht Prozent. Während mehr als ein Viertel der deutschen Jugendlichen das Abitur macht, schaffen dies nicht einmal zehn Prozent der ausländischen SchülerInnen.
Die Strukturen des deutschen Bildungssystems reproduzieren Ungleichheit. Wenn Kinder mit Migrationshintergrund mit unzureichenden oder ohne Deutschkenntnisse eingeschult werden, muss ein gutes Schulsystem diesen Mangel ausgleichen. Stattdessen werden die Eltern in die Pflicht genommen, die »versäumt« haben, ihren Kindern Deutsch beizubringen. Doch diese sprechen oft selbst kaum Deutsch. Als Angehörige bildungsferner Schichten - zu ihnen gehören überdurchschnittlich viele ungelernte ArbeiterInnen - sind sie mit dieser Aufgabe vollkommen überfordert. Hier muss die Schule den Spracherwerb im Elternhaus ersetzen.
Instrumente, die Kinder mit Migrationshintergrund zu besseren Leistungen befähigen, sind schon lange bekannt. Um ihnen das Erlernen der Zweitsprache Deutsch zu erleichtern, muss man zuerst die Sprachfähigkeit in der Erst- oder Heimatsprache fördern. Dies unterstützt das Verständnis grundlegender sprachlicher Strukturen. Vorschulisch ist eine zweisprachige Alphabetisierung nötig, in der Schule selbst muss bilingualer Unterricht stattfinden. In den Niederlanden wird dieses Modell bereits praktiziert. Einzelne Unterrichtsblöcke werden erst in der Herkunftssprache der größeren MigrantInnengruppen gehalten, dann noch einmal in Niederländisch. Der restliche Unterricht bleibt niederländisch. Ein Modellversuch des Rotterdamer Bildungsinstituts CED mit türkischen SchülerInnen bestätigt die Wirksamkeit dieses Unterrichts.
Doch die Stärkung der Sprachkompetenz nichtdeutscher Kinder bedarf nicht nur neuer Konzepte. Es braucht vor allen Dingen Geld. Egal, wie gut ausgebildet und engagiert PädagogInnen sind: Schwächere Kinder mit größeren Problemen brauchen mehr Aufmerksamkeit. Eine Stundenerhöhung für die jetzt schon stark belasteten LehrerInnen wirkt jedoch kontraproduktiv. Nur mehr Stellen ermöglichen kleinere Klassen, differenzierte Gruppen mit Fördermöglichkeiten, Unterricht mit zwei Lehrkräften gleichzeitig und qualifizierte Nachmittagsbetreuung in Ganztagsschulen.
Dies zu finanzieren ist eine politische Entscheidung. Solange die Subventionierung von Vermögen und Steuerentlastungen für Reiche wichtiger sind als die Finanzierung besserer Bildung für die Schwachen der Gesellschaft, wird sich auch an den Bildungschancen von MigrantInnenkindern nichts Wesentliches verbessern.
Andrea Kostolnik arbeitet in der Berufsvorbereitung mit Jugendlichen ohne Schulabschluss.