Tim Parks scheint nicht der Mann, die weißen Wasser herauszufordern. Er sieht, als er im März sein Buch Rapids über das Wildwasser-Kanufahren auf der Lit-Cologne vorstellte, eher aus wie ein britischer Intellektueller, der sich an diesem regnerischen Tag jedoch viel zu kalt angezogen hat. Vielleicht liegt das daran, dass er seit 24 Jahren im warmen Verona wohnt. Nach einem Crash-Kurs auf der Themse sei er sofort von dem Extremsport gepackt worden - zahlreiche Abenteuerurlaube in den Alpen folgten. Aus diesen hat Parks jetzt einen Roman gemacht.
»You mustn't fight the water«. Das ist die Devise für eine bunt gemischte Gruppe englischer KanutInnen, die sich in einer Art Zeltlager für WassersportlerInnen in den österreichischen Alpen zusammengefunden hat, um den Thrill des Wildwassers zu erleben. Für sie alle stellt das Wasser den Katalysator dar, der lange unterdrückte Emotionen wie Trauer und Hass, Liebe und Versöhnung an die Oberfläche spült. Die Flucht aus dem dumpfen Alltag in den Extremsport wird für manche zur gefährlichen Gratwanderung zwischen Ehrgeiz und Selbstüberschätzung. Der ansonsten abgeklärte Banker Vince erfährt das in ganzer Bandbreite: Kaum ist er über den Tod seiner Frau hinweg, verliebt er sich in Michela, die anglophile italienische Freundin des Reiseführers Clive, mit dem sie gerade Beziehungsprobleme hat. Der Weg zur potenziellen Romanze ist aber genauso verschlungen und mit gefährlichen Untiefen gespickt wie ein Gebirgsbach. Michelas depressive Stimmung kulminiert in einem furiosen Selbstmordversuch im weißen Wasser.
Der Extremsport schärft in Teenagern und Erwachsenen gleichermaßen den Sinn für die eigene Situation - was wollte ich eigentlich sein und wie weit bin ich jetzt davon entfernt? Wenn man sich, wie Vince, auf diese quälende Prozedur der Selbsterkenntnis einlässt, kann man jenseits des point of no return »paddeln« und eine Art Versöhnung mit der eigenen Biografie erreichen. Für Vince besteht sie darin, sein Londoner Leben hinter sich zu lassen, um mit Michela zusammen zu leben.
So wird Rapids zum Lehrstück über Akzeptanz der eigenen Persönlichkeit vor großartig beschworener Naturkulisse. Ob diese Versöhnung Bestand haben kann, sagt uns Tim Parks, ein Liebhaber des offenen Schlusses, gleichwohl nicht.
Allen Lehren über das Zerpflücken und Wiederzusammensetzen von Persönlichkeiten zum Trotz, ist Rapids eine unwiderstehliche Einladung zum Kanukurs. Und wenn man sich schon selbst erkennen muss, dann gern im sonnigen Hochgebirge.
Tim Parks: Rapids, Secker & Warburg, London 2005, zirka 8 Pfund. Deutsch: Weiße Wasser. Kunstmann, München 2005, 19,90 Euro.