Als Mugison seine erste CD Lonely Mountain veröffentlichte und sich dafür entschied, die Hülle aus Pappe zu basteln und mit der Nähmaschine zusammen zu nähen, wusste er noch nicht, dass er 10000 Stück davon verkaufen sollte. Als ein Ergebnis dieses unerwarteten Erfolgs saßen er und seine Freundin monatelang in ihrem Haus am Fjord und waren damit beschäftigt, CD-Hüllen zu nähen.
Mittlerweile gehört der Singer-Songwriter zu den wenigen isländischen KünstlerInnen, die es geschafft haben, auch im europäischen Ausland bekannt zu werden. In Deutschland noch eher als Geheimtipp gehandelt, hat Mugison den Erfolg auf jeden Fall verdient. Mit seiner melancholischen bis schrägen Gitarrenmusik, gemischt mit elektronischen Elementen, hat er etwas geschaffen, das in erster Linie neu und überraschend klingt - und wunderschön.
Überhaupt hat das Spektrum isländischer Musik einiges mehr zu bieten als nur Björk und Sigur Ros, die vielgelobten Vorzeige-MusikerInnen der Insel. Von Rock und Punk über gefälligen Pop bis hin zu experimentellen elektronischen Klängen ist auf der gerade mal 300000 Menschen beherbergenden Insel alles vertreten. Ihren ersten Anstoß Richtung Moderne bekam die Musikszene auf Island als die USA in den Fünfzigerjahren eine Militärbasis in Keflavik errichteten. Der Rock n' Roll war am Polarkreis angekommen. Und zog die üblichen Folgen nach sich: Die älteren Generationen befürchteten einen amerikanischen Kulturimperialismus und warfen der jüngeren Generation Werteverlust und Amoralität vor; diese scherte sich nicht darum und startete die musikalische Rebellion. Internationale Hits wurden stilistisch kopiert und die Texte teilweise ins Isländische übertragen, um für das Publikum einen stärkeren Bezug zur Musik herzustellen. Ende der Siebzigerjahre folgte die Punkwelle. In Reykjavik etablierte sich eine linke Szene, die unter anderem auch der Musik durch ihren Einfluss neuen Schwung gab. Gleichzeitig begannen isländische MusikerInnen, langsam einen eigenen Stil zu entwickeln. Diesen Stil, der Elemente traditioneller isländischer Musik mit modernen Arrangements und Texten verbindet, findet man auch heute noch bei einigen KünstlerInnen.
Die meisten haben sich jedoch wieder neuen, ganz unterschiedlichen Stilen verschrieben. So zum Beispiel die Band Apparat Organ Quartett, die ihre Musik als »Machine Rock and Roll« beschreibt. Ausgerüstet mit einer Reihe von antiken Synthesizern, Orgeln, Spielzeugkeyboards und anderen Tasteninstrumenten bringen die vier Organisten, unterstützt von einem Schlagzeuger, Melodien hervor, die sich noch am ehesten mit denen der deutschen Gruppe Kraftwerk vergleichen lassen. Überhaupt mangelt es oft an den passenden Ausdrücken und Schubladen, um die Musik isländischer Bands zu beschreiben. Ein weiteres Beispiel für die Vielfalt dieser Musik ist das Projekt Ghostigital um Sänger Einar Örn, den zweiten Frontman von Björks früherer Band, den Sugarcubes. Gemeinsam mit dem Elektronik-Experten Curver macht er irgendetwas zwischen Electro, Industrial und Rock, angereichert mit HipHop-Anleihen.
Selbstverständlich finden sich in der Musikszene auch KünstlerInnen, die eher den Geschmack der breiten Masse bedienen. Ein qualitativ hochwertiges Beispiel hierfür ist der junge Sänger Thorir, der unter dem wenig griffigen Namen My Summer as a Salvation Soldier mit seiner Gitarre und depressiven, englischsprachigen Texten über zerbrochene Beziehungen die richtige Musik für VollzeitmelancholikerInnen zu bieten hat. Oder auch Slowblow, die Band um Dagur Kari, der gleichzeitig als Regisseur tätig ist, und dessen Erstlingswerk Noi Albinoi auch hierzulande in den Kinos zu sehen war. Praktischerweise konnte die Musik von Slowblow gleich den Soundtrack zum Film liefern.
Dies ist eine der Besonderheiten von isländischen KünstlerInnen: Selten beschränken sie sich auf Musik allein. So sind viele der MusikerInnen auch in der bildenden Kunst tätig, wie Heimir Björgulfsson, der nicht nur als Solokünstler mit elektronischer Musik experimentiert, sondern auch Installationen mit Tierporträts und ausgestopften Vögeln präsentiert. Oder Katrin Elvarsdottir, die ihre Fotografien von verlassenen Orten auf Island vom Musiker Matthias Hemstock mit passenden Klängen unterlegen ließ. Gleiches gilt für den Dichter Sjon, der bei seinen Lesungen auch schon mal vom Gitarristen Hilmar Jensson begleitet wird.
Man ist versucht zu behaupten, dass diese Fülle von gemeinsamen Arbeiten darauf zurückzuführen ist, dass Reykjavik, das kulturelle Zentrum Islands, gerade mal knapp 115000 EinwohnerInnen hat und die KünstlerInnen sich zwangsläufig irgendwann über den Weg laufen. Dass dabei Ideen zu gemeinsamen Projekten entstehen können, liegt nahe. Tatsächlich verkehrt die künstlerische Szene in dieser Stadt in einigen wenigen angesagten Clubs und Kneipen - bei dem einen oder anderen Bier wird wohl auch über Kunst und Geschäft gesprochen werden.
Sollte jetzt der Eindruck aufgekommen sein, bei den IsländerInnen handele es sich in der Hauptsache um kreative Workaholics, die nichts anderes im Kopf haben als die Arbeit an ihren Projekten, ist das jedoch falsch. Als im vergangenen Monat eine Reihe isländischer KünstlerInnen und MusikerInnen im Rahmen des Festivals Islandbilder zu Besuch in Köln war, stellte sich heraus, dass man mit diesen Leuten auch Spaß haben kann. Das Klischee der stillen und zurückhaltenden Menschen aus dem Norden erwies sich offensichtlich als unwahr. Heimir Björgulfsson, der bereits erwähnte Musiker und bildende Künstler, machte sich schon am ersten Abend des Festivals dadurch bemerkbar, dass er alle Leute, die ihm hinter der Bühne über den Weg liefen, nach Kokain und Ecstasy fragte - sich aber letztendlich mit Bier begnügen musste. Am folgenden Tag hatte er offenbar dazugelernt und schaffte das Kunststück, an einem einzigen Tag gleich dreimal völlig betrunken vor die Tür gesetzt zu werden. Seine Kollegen der Electro-Band Stilluppsteypa versuchten scheinbar, es ihm gleichzutun, als sie beinahe ebenso betrunken mit ein paar Flaschen Bier in den Händen viel zu spät zum Soundcheck erschienen. Es liegt nahe zu vermuten, dass die exzessiven Besäufnisse einiger MusikerInnen damit zusammenhängen, dass die Alkoholpreise hierzulande im Vergleich zu den isländischen geradezu lachhaft niedrig sind. Laut Aussagen ihrer KünstlerkollegInnen legen die Betreffenden allerdings zuhause das gleiche Verhalten an den Tag. Sex, Drugs and Rock n' Roll sind eben international.