Wenn man Sin City als Hörspiel goutiert, ist der Film eine der besten Comicadaptionen überhaupt. Auch wenn in der Berichterstattung meist die digitale Produktion und die visuelle Werktreue hervorgehoben werden, ist dies doch letztendlich weniger bedeutend für die Qualität des Films. Wenn eine Adaption als eigenes Werk bestehen will, reicht es eben nicht, werkgetreu zu sein. Ein maßgeblicher Vorteil des Films gegenüber dem Comic ist die akustische Ebene.
Nicht dass LeserInnen von Comics diese Ebene wirklich vermissen würden, da schon seit jeher eines der augenscheinlichsten Merkmale des Comics die Sichtbarmachung des nicht Sichtbaren ist. Und so rauscht es nicht, es rabääht, krawummst, bamft, snikt und swishht im Blätterwald. Aber die synästhetische Originalität beschränkt sich nicht auf die Anhäufung von Klangwörtern und knalligen Bildern, sondern umfasst auch die Visualisierung von Sprachen, Tonfällen, Metaphern und Ideen. So sprechen in den Asterix-Abenteuern die GotInnen in Fraktur, die ÄgypterInnen in Hieroglyphen, und die IndianerInnen sehen Sterne in der Anordnung des Star-spangled Banner. Dagobert Duck schwimmt tatsächlich im Geld, und wenn er gierig wird, hat er das Dollarzeichen in den Augen. In dem amerikanischen Satirestrip Doonesbury wurde George W. Bush anfangs noch als Sternchen mit Cowboyhut dargestellt, später dann als Sternchen mit römischem Zenturionshelm. Ein Roboter oder Computer spricht meist in digitaler Schrift, wenn jemand mit eisiger Stimme spricht, hat er Eiszapfen an seinen Sprechblasen, wenn jemand wütend ist, tobt ein Gewitter über seinem Kopf.
So ist es nicht verwunderlich, dass der cineastische Bruder des Comics - der Animationsfilm - sich erst mit der Erfindung des Tonfilms durchsetzte. Es gab mit Felix, dem Kater, zwar schon zu Stummfilmzeiten einen veritablen Cartoonstar, dieser wurde aber spätestens mit Steamboat Willie von Mickey Mouse überschattet. Dieser Klassiker aus dem Hause Disney hatte nicht nur einfach eine Tonspur; der Tonaspekt wurde auch in der Handlung thematisiert. Außerdem wurde viel Wert auf prägnante Stimmen gelegt. Vom Quaken Donald Ducks über das hohle Lachen von Beavis und Butthead bis zum nervigen Quietschen Cartmans aus South Park prägen sich animierte Charaktere meist durch ihre unverwechselbaren Stimmen ein. Auch die Vertonung durch Stars wie Tom Hanks (Toy Story) und Eddie Murphy (Mulan und Shrek) - oder in Deutschland: Til Schweiger (Hercules) und Otto Waalkes (Mulan) - trägt entscheidend zu dieser Prägnanz bei.
Musik wurde in Zeichentrickfilmen nicht nur zur Untermalung oder Hintergrundberieselung verwendet: Wie man schon an Serientiteln wie Silly Symphonies (Disney), Merry Melodies oder Looney Tunes (beide Warner Bros) erkennen kann, ist Musik vielmehr Inspirationsquelle für Handlungen, Charaktere, Dynamik, Farben- und Formenpracht des Animationsfilms. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist natürlich Fantasia - wieder einmal aus dem Hause Disney. Und auch wenn die inzwischen obligatorischen Musicaleinlagen der Disney-Filme häufig Kritik und Spott auf sich ziehen, gelten zum Beispiel die Songs aus Das Dschungelbuch zu Recht als Klassiker, und die entsprechenden Szenen in den Filmen sind häufig Höhepunkte der Animationskunst. Selbst Toneffekte wurden musikalisiert, indem die Cartoonfiguren beispielsweise im wahrsten Sinn des Wortes mit Pauken und Trompeten hinfallen. Nicht zu vergessen die Erwachsenen in den Charlie-Brown-Filmen, die in den Peanuts-Comics gar nicht vorhanden sind: Sie quäken ihren Kindern in verschiedensten »Blasinstrumentstimmen« etwas vor.
Bei den Spielfilmadaptionen von Comics ist der Soundtrack ebenso wichtig. Der Heroismus und das Pathos von Superman finden ihre musikalische Entsprechung in dem Superman-Thema von Harry-Potter-Komponist John Williams. Dasselbe gilt - mit einer gehörigen Portion Wahnsinn und Düsternis - auch für Danny Elfmans Musik für Tim Burtons Batman-Filme.
Aber wie ist die Flut der Comicadaptionen in den letzten Jahren zu erklären? Erkennen die Filmstudios endlich, dass Comics einen enormen Fundus an interessanten Charakteren und Geschichten haben? Reicht es schon aus, den Erfolg auf die Perfektion digitaler Aufnahmetechniken und Effekte zurückzuführen? Besteht etwa das Publikum zum größten Teil aus Comicfans?
Das alles sind wohl keine hinreichenden Erklärungsversuche. Tatsache ist aber, dass die jetzige Generation von FilmemacherInnen in einer Zeit groß geworden ist, als selbst Superheldencomics akzeptierte Fiktionen waren, die etwas über gesellschaftliche Realitäten aussagten. Es ist sicherlich auch hilfreich, dass renommierte Schauspieler wie Ian McKellen (Magneto) und Patrick Stewart (Professor X) typische Comicdialoge eben nicht voller pathetischer Inbrunst intonieren, wie es in den Zeichentrickserien geschieht, sondern mit dem selben Respekt und der gleichen Ernsthaftigkeit sprechen, wie sie es wohl auf der Bühne in Shakespeare-Rollen tun würden. Und Tobey Maguire gibt in seinem Off-Kommentar im wahrsten Sinn des Wortes den richtigen Ton vor, wenn er mit einer schwächlichen, jugendlichen Stimme beinahe zweifelnd »Ich bin Spiderman« sagt.
Vielleicht können selbst die FilmemacherInnen, die keine Comics adaptieren wollen, etwas aus diesem Trend lernen. Denn auch wenn in ein, zwei Jahren das Publikum für Superheldenfilme wieder schwindet und nicht mehr jeden zweiten Monat ein Comic verfilmt wird, so wird mit der immer weiter voranschreitenden Digitalisierung des Kinos eine größer werdende Künstlichkeit der Bilder einhergehen - nicht nur im Big-Budget-Mainstream. Dann werden SchauspielerInnen eines ihrer wichtigsten Instrumente - ihre Stimme - vielleicht häufiger strapazieren müssen als ihre Physikalität. Toneffekte werden selbst die abstrusesten Fantasiewelten plausibel machen. Und Musik wird über die reine Untermalungsfunktion hinaus die emotionale Verbindung zwischen Publikum und Leinwandgeschehen herstellen. Dann werden Spielfilme das volle Potenzial des Tons vielleicht ebenso ausschöpfen wie der Animationsfilm - hoffentlich ohne alles in einem Klangbrei zu ertränken.