Als der Wissenschaftsrat im Januar den Münchner Altgermanisten Peter Strohschneider zum Vorsitzenden wählte, verhieß das nur Gutes: ein Mediävist, denkbar weit entfernt von prestigeträchtigen und feuilletonwirksamen Modewissenschaften kam an die Spitze des Gremiums, das Bund und Länder in Sachen Hochschule auch in den turbulenten hochschulpolitischen Zeiten berät.
Kaum war die Freude über die Wahl des Altgermanisten verklungen, gab es eine neue positive Nachricht, wie sie die geisteswissenschaftliche Zunft seit Jahren nicht mehr vernommen hatte: Mitten in die Diskussion über Eliteunis und so genannte Exzellenzcluster platzten die »Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland des Wissenschaftsrates« und behaupteten entgegen aller gängigen Vorurteile und Klischees: Die Leistungen der Geisteswissenschaften in Deutschland seien »sehr gut«, und in einigen Disziplinen sei man weltweit führend. Die »allgemeine Krisenrhetorik«, die in den Geisteswissenschaften gepflegt werde, sei »deplaziert und ungeeignet.«
Das ließ aufhorchen. Sollte der Blick der externen ExpertInnen sich so sehr von dem der involvierten Studierenden und Lehrenden unterscheiden? Die alltägliche Erfahrung belegt, was zahlreiche Rankings verzeichnen: schlechte Betreuungsrelationen, schlechte Bibliotheksausstattung, lange Studienzeiten. Darüber schweigt sich auch die Studie nicht aus. Was Studierende der Geisteswissenschaften heute umtreibt, wird genannt: Der Einstieg in den Arbeitsmarkt ist bekanntermaßen schwer, die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache. Die Umstellung auf BA/MA ist in höchstem Maße problematisch, denn die Qualität der Lehre wird sich ohne signifikante Änderung der Betreuungsrelation nicht verbessern.
Der Rat empfiehlt den Geisteswissenschaften daher, die seit ihrer Entstehung gepflegten »Allzuständigkeitsphantasmen« abzulegen, die noch aus einer Zeit stammen, in der man keinen Rechtfertigungszwang hatte. Aber im 21. Jahrhundert haben die Naturwissenschaften in punkto unmittelbarer Verwertbarkeit den Geisteswissenschaften längst den Rang abgelaufen. Jene drohen im schwammigen Sammelbegriff der »Cultural Studies« als moralisch-kulturelles Beiwerk ein erniedrigtes Dasein zu fristen. Deshalb muss man sich neu orientieren: Ein Ziel soll es sein, nach angelsächsischem Vorbild interdisziplinäre Verbände zu gründen, in denen gemeinsam geforscht wird. Lobend erwähnt man hier das Zentrum für Moderneforschung der Philosophischen Fakultät in Köln.
Ob die teilweise hausgemachten Probleme der Geisteswissenschaften in Deutschland mithilfe der Studie gelöst werden können, darf bezweifelt werden. Allein die Diagnose ist nun von prominenter Stelle skizziert worden und das Urteil milder ausgefallen als erwartet. Den zuständigen ReformerInnen möchte man mit dem Wissenschaftsrat zurufen: »Die Geisteswissenschaften sind ein entscheidender internationaler Ausweis der Wissenschafts- und Forschungsnation Deutschland.«