Dirac

Das Mögliche jenseits der Wirklichkeit Von Kathrin Ohlmann

Gleich zu Beginn des Romans Dirac taucht die Frau von der Küste auf. Sie ist gesichts- und namenlos. Die Frau wird immer wieder an verschiedenen Stellen der Geschichte erscheinen, ohne dass ihre Identität enthüllt wird. Sie verkörpert das Unverständliche und Geheimnisvolle der Erzählung, das diese interessant macht. Die beiden großen Erzählstränge in Dirac sind die Geschichte des britischen Physikers Paul Dirac und die scheinbar autobiografischen Passagen über das Leben des Protagonisten David Dalek und seiner FreundInnen. Dalek ist Schriftsteller und arbeitet an einem Buch über Dirac. Auf seiner Suche nach der Person Dirac sind ihm seine FreundInnen mit ihren eigenen Lebensentwürfen ständig präsent. Sie kennen sich seit ihrer Kindheit und sind entschlossen, die Welt nicht anders als »poetisch und politisch« anzugehen. Da ist zum Beispiel Johanna. Sie arbeitet als Künstlerin, ihr Vater ist Alkoholiker. Mit seinem besten Freund Paul teilt David die Begeisterung für den Kommunismus, die Physik und die Faszination für ungeklärte Ereignisse. Das Leben der Freunde bleibt für einen Moment stehen, als sich einer von ihnen umbringt. Paul Dirac wird zu Beginn des Romans leise eingeführt, in kleinen Abschnitten zwischen den Beschreibungen der fünf FreundInnen und Anekdoten aus ihrer Vergangenheit. Paul Dirac (1902-1984) war britischer Physiker und erhielt als Mitbegründer der Quantenmechanik 1933 den Nobelpreis für Physik. Die Darstellung Diracs bleibt am Anfang des Romans sperrig und unzugänglich. Seine Gedankenwelt scheint fern, weil man seine physikalischen Überlegungen nicht nachvollziehen kann. Doch dies ändert sich bald. Dirac entpuppt sich als so besonders und interessant, dass jede seiner Reisen, Korrespondenzen und Gespräche gelesen werden wollen. Wer klare Strukturen liebt, sollte Dirac besser nicht lesen. Denn der Roman lebt von seinen räumlichen und zeitlichen Sprüngen und den wechselnden Erzählperspektiven. Aus vielen kleinen Versatzstücken setzt sich das Bild Diracs wie auch das der FreundInnen zusammen. Auch wenn man nicht immer alles versteht, ist man schnell gebannt und sehr gespannt darauf, wie es weitergeht. Die Diracsche Wellengleichung bildet das Dirac-Meer, das den Roman umspült und weitertreibt. Und wer einmal darin schwimmt, wird auch weiterpaddeln und sich selbst die Horizonte setzen.