Große deutsche Unternehmen ließen in den vergangenen Jahren vermehrt von HistorikerInnen ihre Rolle in der Zeit von 1933 bis 1945 aufarbeiten. So wurden beispielsweise der US-amerikanische Geschichts- und Holocaust-Forscher Peter Hayes für den Chemie-Konzern Degussa und der Historiker Klaus-Dietmar Henke von der Technischen Uni Dresden für die Dresdner Bank tätig. Beide veröffentlichten ihre Ergebnisse in aufwändigen Publikationen. Kulturelle und wissenschaftliche Institutionen tun es Unternehmen nun gleich. Ein Bericht über die nationalsozialistische Vergangenheit der Sporthochschule Köln wurde bereits im Jahr 2004 veröffentlicht (www.philtrat.de/volumes/64/mord_ist_der_vornehmste_sport) und ein zweibändiges Werk über die Kaiser-Willhelm-Gesellschaft, Vorgängerin der Max-Planck-Gesellschaft, erschien im August dieses Jahres unter dem Titel »Wissenschaftsmanagement im 'Dritten Reich'«.
Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) stellt sich den dunkelsten Jahren ihrer Geschichte. Eine erste Untersuchung 1999 verharmloste ihre Rolle im Nationalsozialismus. Jetzt hat die DFG eine intensivere Art der Aufarbeitung gewählt. Eine Forschungsgruppe der DFG untersucht in zwanzig Einzelprojekten die Geschichte der Gemeinschaft in den Jahren 1920 bis 1975. Ein Teil der Ergebnisse über die DFG in der Zeit des Nationalsozialismus liegt seit einigen Monaten unter dem Titel »Wissenschaft Planung Vertreibung - Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten« vor und ist derzeit in einer Wanderausstellung zu sehen.
Die Studie macht deutlich, wie schnell und bereitwillig sich die deutsche Wissenschaft in den Dienst der NationalsozialistInnen stellte. Rudolf Mentzel, seit 1936 DFG-Präsident, verfasste seine Habilitationsschrift in Chemie 1933 über militärischen Einsatz von Giftwaffen. Finanzielle Förderung durch die DFG erhielten bevorzugt solche Forschungsprojekte, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der »Germanisierung Osteuropas« befassten. Fachrichtungen wie Raumforschung, Soziologie, Geschichte oder Demografie bereiteten je auf ihre Art den »Generalplan Ost« vor, gaben ihm ein scheinbar objektives Fundament sowie eine wissenschaftliche Legitimation. Die Rassenforschung wurde so zur »Leitwissenschaft«, die Expansionspolitik akademisches Ideal. In der Darstellung wird deutlich, dass die Mehrzahl der WissenschaftlerInnen nicht unter Zwang mobilisiert wurde, sondern sich aus eigenen Stücken zu der nationalsozialistischen Ideologie bekannte und ihre Forschung für politische Zwecke vereinnahmen ließ.
Nicht zuletzt deckt die Studie personelle Verflechtungen zwischen nationalsozialistischen Führungskreisen sowie der Verwaltung der DFG auf, besonders deutlich wird dies mit der Gründung des Reichsforschungsrats 1937. DFG-Präsident Rudolf Mentzel kontrollierte dessen Verwaltungsapparat, war seit 1925 Mitglied der NSDAP und gehörte seit 1932 der SS an. Umso mehr schockiert, dass die meisten der beteiligten WissenschaftlerInnen nach Ende des NS-Regimes ungestraft blieben und ihre Hochschulkarrieren weiterverfolgen konnten.