Es ist in keinem seriösen Geschichtsbuch aufgeführt, und doch erlebten die Vereinigten Staaten von Amerika zwischen 1859 und 1880 eine kurze Phase der Monarchie. In dieser Zeit lenkte der ehemalige Geschäftsmann Joshua Abraham Norton als selbsternannter Kaiser von Amerika die Geschicke des Landes.
Der gebürtige Engländer scheiterte bei dem Versuch, den kalifornischen Markt für Reis unter seine Kontrolle zu bringen, und musste sich nach einem langjährigen Rechtsstreit 1858 für bankrott erklären. Dieser dramatische Einschnitt in seinem Leben war vielleicht dafür verantwortlich, dass Norton in der Folge ein zunehmend exzentrisches Verhalten an den Tag legte. Am 17. September 1859 teilte er einigen Zeitungen in San Francisco mit, dass er sich zum »Kaiser dieser Vereinigten Staaten« erklärt habe. Später fügte er seinem Titel den Zusatz »Protektor von Mexiko« hinzu.
Es folgten weitere Proklamationen, die von den örtlichen Zeitungen veröffentlicht wurden und in denen Norton versuchte, das seiner Ansicht nach unzulängliche politische System der USA zu verbessern. Folgerichtig war eine seiner ersten Amtshandlungen als alleiniger Herrscher die Auflösung des nun überflüssigen Kongresses. Nachdem weder der Kongress noch das zur Durchsetzung seines Erlasses nach Washington beorderte Militär seinen Anweisungen entsprach, löste er 1860 kurzerhand die Republik auf.
Sein Kampf gegen die von ihm abgesetzte Regierung zog sich durch seine gesamte Regentschaft. Doch Norton zeigte teilweise auch echte staatsmännische Begabung. So verfügte er in weiteren Erlässen unter anderem die Gründung einer »Liga der Nationen« und verbot Religionsstreitigkeiten. Sein Plan zur Errichtung einer Brücke zwischen San Francisco und Oakland wurde tatsächlich umgesetzt, wenn auch erst 1933, Jahrzehnte nach seinem Tod. In einer Anekdote wird außerdem berichtet, er habe ein Pogrom gegen chinesische ImmigrantInnen dadurch beendet, dass er sich zwischen den gegenüberstehenden Parteien postierte und so lange das Vater Unser betete, bis sich die Menge zerstreute.
Der selbsternannte Kaiser war bei seinem Volk außerordentlich beliebt. Die von ihm ausgegebene Währung wurde von den Geschäftleuten San Franciscos anstandslos akzeptiert. Restaurants warben mit Plaketten an ihren Eingängen, auf denen »Im Dienste Seiner Kaiserlichen Majestät, Kaiser Norton I. der Vereinigten Staaten« stand, und bei Theater- und Musikaufführungen waren stets Logenplätze für ihn reserviert. Als ein besonders eifriger Polizist den Regenten zur zwangsweisen Behandlung einer Geisteskrankheit verhaftete, sorgte der Polizeichef persönlich für seine Freilassung und entschuldigte sich für den begangenen Hochverrat seines Beamten. In der Folge salutierten die Polizisten der Stadt bei jedem Aufeinandertreffen mit Norton. Als einer seiner beiden Hunde starb, schrieb Mark Twain einen Nachruf.
Joshua Norton starb am 8. Januar 1880. Da er fast mittellos war, wurde sein Begräbnis von einer örtlichen Vereinigung von Geschäftsleuten finanziert. Der Trauerzug, der seinem Sarg folgte, war mehr als zwei Meilen lang und bestand angeblich aus 10000 bis 30000 Menschen.