Die Zeugnisvergabe Ende Januar dürfte für manche SchülerInnen in NRW mit mehr Schrecken verbunden gewesen sein als die vorherige. Denn seit dem gerade vergangenen Schulhalbjahr bekommen die SchülerInnen zusätzlich zu den üblichen Noten der Unterrichtsfächer auch wieder Kopfnoten, mit denen erwünschte soziale Eigenschaften bewertet werden. Eine Tatsache, mit der sich viele Jugendliche nicht abfinden wollen. Die LandesschülerInnenvertretung (LSV) rief zu einer landesweiten Demonstration am Tag nach der Zeugnisvergabe auf, bei der manche SchülerInnen möglicherweise bescheinigt bekommen haben, unsozial, unselbstständig und faul zu sein. Unmittelbar danach sei die Wut über die neuen Noten besonders groß, hoffen die OrganisatorInnen. »Kopfnoten sind absolut überflüssig und ein Autoritätsmittel aus dem Kaiserreich«, sagt LSV-Vorstandsmitglied Pia-Theresa Lücker.
Das nordrhein-westfälische Schulministerium unter der Leitung von CDU und FDP hat die Kopfnoten zum Schuljahr 2007/2008 eingeführt. Sie sollen es LehrerInnen ermöglichen, das Sozialverhalten ihrer SchülerInnen zu bewerten, um so Eltern und späteren ArbeitgeberInnen ein besseres Bild von der Entwicklung und sozialen Kompetenz der SchülerInnen zu liefern. »Der Erziehungsauftrag der Schulen soll gestärkt werden«, sagt Ministeriumssprecher Andrej Priboschek. Zudem würden später im Berufsleben auch das Arbeits- und Sozialverhalten bewertet. Darauf sollten die Kopfnoten vorbereiten. »Schule kann kein Schonraum sein«, sagt Priboschek. SchülerInnen könnten den Nutzen der neuen Noten lediglich noch nicht ganz erfassen.
Das sehen die OrganisatorInnen der Demonstration anders. Ihrer Meinung nach übersieht das Schulministerium die Nachteile der Kopfnoten, oder aber nimmt sie in Kauf. Mit den vier zur Verfügung stehenden Noten »sehr gut«, »gut«, »befriedigend« und »unbefriedigend« haben LehrerInnen, so fürchten die LSV-VertreterInnen, ein neues Druckinstrument zur Hand. Mithilfe der Noten für unter anderem Konfliktverhalten und Kooperationsfähigkeit könnten LehrerInnen kritische SchülerInnen einschüchtern und mundtot machen. Entsprechende Versuche, sagt Vorstandsmitglied Lücker, wurden der LSV bereits von Schülervertretungen aus ganz NRW berichtet.
Ein weiterer Kritikpunkt der SchülerInnen ist, dass die Kopfnoten willkürlich vergeben werden könnten. Wer über die Noten entscheidet, KlassenlehrerInnen, Leistungskurs-LeiterInnen oder eine LehrerInnenkonferenz, sei an den Schulen nicht einheitlich geregelt. Ein Einwand, den Ministeriumssprecher Priboschek nicht teilt. »Die Kopfnoten sind kein Willkürentscheid Einzelner«, sagt er. Wie aber LehrerInnen bei immer größer werdenden Klassen die soziale Kompetenz jedes einzelnen Schülers und jeder einzelnen Schülerin zuverlässig bewerten sollen, kann er auch nicht beantworten.
Neben der ersten großen Anti-Kopfnoten-Demonstration und einer Petition an den Landtag plant die LSV derzeit, die nordrhein-westfälischen Schulen mit einer Einspruchswelle zu überziehen. »Wir versuchen, so viele Schüler wie möglich dazu zu bringen, Einspruch gegen ihre Kopfnoten einzulegen«, sagt Lücker. Durch das entstehende Papierchaos sollen Schulen und Ministerium erkenn en, dass die SchülerInnen ihren Protest ernst meinen.