Die Szene wirkt bizarr. Zwei junge Männer joggen vor und zurück, machen mal einen Ausfallschritt nach links, mal einen Hüftdehner nach rechts. Dabei reden sie in zusammenhanglosen Sätzen aneinander vorbei. Mit gleichgültiger, kalter Miene, den Blick starr geradeaus gerichtet, schwadronieren sie über Gesellschaft und den Fortschritt der Welt. »Manchmal leben wir mitten in einer Zeit und erkennen gar nicht, dass etwas Neues entsteht. Denk mal darüber nach, was sich in den letzten zwanzig Jahren alles verändert hat. Du bist ein Fatalist«, sagt der eine. Darauf ruft der andere belehrend: »Der wahre Fatalist beschließt, bereits im Säuglingsalter zu sterben.«
Der Ort des Szenarios ist eine provisorische Hinterhof-Bühne in Köln-Müngersdorf. Hier finden die Proben für das Theaterstück »Der Raub von Europa« statt, das der Student Lars Zastrow in Eigeninitiative inszeniert. Grundlage des Stücks ist der Mythos vom Raub der phönizischen Königstochter Europa. Diese wird von Göttervater Zeus in Gestalt eines Stieres nach Kreta verschleppt und verführt. Basierend auf diesem Mythos entwarf Zastrow die Geschichte um drei Freunde, die in dem fiktiven südamerikanischen Land Perturbar Alniño leben. Auf unterschiedliche Weise versuchen sie dem totalitären, von Korruption und Armut beherrschten Staat zu entfliehen. Vielen Einwohnern der ehemaligen Kolonie gilt Europa als Ort des Wohlstands und des besseren Lebens. Für einen der Freunde gerät dies in Gestalt einer schönen Frau namens Europa in greifbare Nähe. Von ihr verführt, eröffnet sich ihm die Möglichkeit, sie bei ihrer Rückkehr in ein europäisches Wohlstandsland zu begleiten. Pedro muss sich entscheiden.
Das Stück spielt mit den verschiedenen Bedeutungsebenen des Begriffs Europa. Einerseits mit dem Protagonisten des Mythos, der dabei umgekehrt wird. Nicht Europa wird verführt, sondern sie selbst wird zur Verführerin. Andererseits ist Europa hier auch synonym für Wohlstandsgesellschaften, die eine starke Anziehungskraft auf MigrantInnen aus ärmeren Ländern ausüben.
Die beschriebene Szene hat daher innerhalb des Stücks eine besondere Bedeutung, denn hier wird die kritische Aussage des Stückes auf die symbolische Spitze getrieben. In Gestalt zweier Europäer werden dabei die Arroganz und die Tatenlosigkeit mancher Industriestaaten gegenüber Schwellenländern personifiziert, indem sich die beiden Männer auch nicht vor fremdenfeindlichen Äußerungen scheuen.
Die Motivation für das Projekt entspringt der Freude am kreativen Arbeiten, sagt Zastrow. Er wolle außerdem wirtschaftliche und politische Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Industrieund Schwellenländern aufzeigen und in Frage stellen. Dabei gäbe es allerdings keinen konkreten thematischen Schauplatz, viel mehr flössen verschiedene Problematiken ineinander. »Ich möchte vom Mythos aus, als der Ausgangspunkt für Europa, einen Bogen in die heutige Zeit spannen«, sagt der Regisseur.
Ihm gehe es aber auch um eine Verbesserung der Einwanderungspolitik, wobei er sich dessen bewusst sei, dass das Stück keine Lösung für die Problematik bietet. Es solle kritisieren, jedoch nicht belehren. Zu sehen ist Der Raub der Europa, vom 05.06 bis 09.06.2008, 20 Uhr, in der Ausstellungshalle der Alten Feuerwache in Köln.