Er hat noch nie wegen der Sprechstunde eines Dozenten warten müssen, saß in keinem überfüllten Seminar auf dem Fußboden und hat noch nie einen Multiple-Choice-Test geschrieben, weil sonst zu viel zu korrigieren wäre. Patrick Eggenspieler kennt das Wort »Massen-Uni« nur vom Hörensagen, denn er ist an der Uni Köln der einzige Student im inzwischen eingestellten Fach Altorientalistik, das sich mit der Kultur des Orients zwischen dem 4. und 1. Jahrtausend v. Chr. beschäftigt. »Dass das Fach geschlossen wird, hat mir unser einziger Dozent schon bei der Einschreibung gesagt.« Während sich jeder, dem er davon erzählt, darüber amüsiert, ist das für Eggenspieler nichts Besonderes. »Wir waren eigentlich immer zu dritt im Hauptfach, einer hat dann den Magister gemacht und der andere, das weiß man nicht so richtig. Jetzt bin ich halt übrig.«
Eggenspieler wirkt nicht nur durch sein Auftreten entspannt, auch der Zukunft sieht er eher locker entgegen. Er muss erst seinen Studierendenausweis konsultieren, um sagen zu können, dass er sich im 13. Semester befindet. An der Uni ist er nur noch selten. Unter anderem weil er etwa zwei Stunden von Köln entfernt in Wülfrath wohnt. Seinen Abschluss hat er noch nicht in der Tasche, weil er mit den Sprachkursen ein bisschen getrödelt hat, aber seine Fächer mag er. In seinen Nebenfächern Ägyptologie und Archäologie ist der 28-Jährige schon scheinfrei, für sein Hauptfach fehlen ihm jedoch noch die Nachweise für Hebräisch und Altgriechisch. Die Kurse kann er mit den Judaistik-Studierenden zusammen belegen, eigentlich lernt er aber sowieso lieber zu Hause.
Sein Dozent Professor Egbert von Weiher ist inzwischen emeritiert, kommt aber immer noch einmal pro Woche ans Institut. Wenn man nur drei Studierende hat, dann baut man auch eine engere Beziehung auf als bei dreihundert. »Ich gebe der Uni keine Schuld«, sagt Eggenspieler, »ich hätte selber sehen müssen, dass mein Studium ordentlich läuft.« Dann wäre er fertig geworden, bevor der Studiengang geschlossen wurde. Nächstes Semester will er sich aber wirklich zur Magisterprüfung anmelden. Die legt er dann auch bei von Weiher ab, obwohl der ja eigentlich schon außer Dienst ist. Eggenspieler war der letzte Student, der sich einschreiben konnte. Damals wurde ihm zugesichert, dass ihm sein Studium bis 2010 ermöglicht werden würde. Da er die erforderlichen Semesterwochenstunden schon alle abgedeckt hat, und auch einen Judaistik-Dozenten als Ansprechpartner, ist die Schließung seines Studiengangs tatsächlich kein allzu großes Problem für ihn. »Es ist doch immer schwierig mit den Orchideenfächern. Wenn es nur einen Dozenten gibt, dann macht man sowieso nicht alles nach vorgeschriebener Studienordnung. Da fällt dann das ein oder andere weg.« An der Kölner Uni haben auch Fächer wie Mineralogie oder europäische Archäologie weniger als hundert Studierende und zum Teil nur einen Dozenten.
Über einen Uni-Wechsel hat Eggenspieler schon nachgedacht. »Aber wo in Deutschland ist es denn anders? Und ich würde Altorientalistik auch nicht auf Bachelor studieren. Dafür ist es ein viel zu schwieriges Fach.« Eggenspielers Aussichten für die berufliche Zukunft sind eher schlecht. Wo man schon kaum studieren kann, da sind noch weniger Kapazitäten auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt Momente, in denen Eggenspieler seine Studienfachwahl bereut. Aber ein Fach wie Mikroelektronik, das er auch mal ein paar Semester ausprobiert hat, erfüllt ihn zu wenig. So entschied er sich letztendlich für die Fächer, die ihm am Herzen liegen. Man will ihm gönnen, dass sich das auszahlt. »Ich hab schon ein bisschen mit der Türkei geliebäugelt, vielleicht werde ich da ja doch was finden.«