Arsch huh, Zäng ussenander!

Dafür und dagegen IV: Sollte man auf Demonstrationen gehen? Von Julia Groth, Gregor Leyser

dafür

Bei einigen ZeitgenossInnen sind Demonstrationen seit den Protesten gegen den rechten »Anti-Islamisierungs-Kongress« in Köln etwas in Verruf geraten. Da wollten die KölnerInnen einfach nur schunkeln, singen und feiern und nebenbei gegen die versammelten europäischen Rechtsextremen protestieren - und auf einmal tauchten vermummte Horden auf und prügelten sich mit der Polizei. Da bleibt man vielleicht besser gleich zuhause, denken sich jetzt bestimmt einige, und schunkelt dort ein bisschen vor sich hin. Da bekommt man wenigstens nichts aufs Maul.

Aber egal, ob eine Demonstration aus Blumen verteilenden Hippies, Anzug tragenden CDU-Wählern oder Antifa-AktivistInnen besteht: Sie ist eine vom Staat gestattete Möglichkeit, die eigene Meinung an die Öffentlichkeit zu tragen. Die Versammlungsfreiheit ist ein deutsches Grundrecht. Und Grundrechte sollte man wahrnehmen, so viel man kann. Sonst könnte noch jemand auf die Idee kommen, sie wären gar nicht nötig. Demonstrationen schaffen Öffentlichkeit und zeigen denen, die an ihnen teilnehmen, dass sie nicht alleine dastehen. Ein Beispiel: Ein Unternehmen will eines seiner Werke schließen. Was kann jemand tun, der in keinem für diese Entscheidung wichtigen Gremium sitzt? Niemanden beeindruckt es, wenn einzelne Personen ein paar Protestbriefe schreiben oder sich bei den AbteilungsleiterInnen beschweren gehen. Wenn aber mehrere Tausend vor den Werkstoren demonstrieren, wecken sie Aufmerksamkeit. Dann bleiben PassantInnen stehen und fragen nach, dann berichtet die Presse darüber, dann sehen vielleicht auch die für die Schließung Verantwortlichen, dass es Probleme gibt. In der Wahlkabine sein Kreuzchen zu machen und ab und zu einen Beschwerdebrief zu schreiben, darf nicht alles sein, was man tut, um gegen bestehende Verhältnisse zu protestieren. Wie die RAF PolizistInnen zu erschießen, bringt zwar mehr Aufmerksamkeit, aber auch Gefängnisstrafen und - bei den meisten Menschen - moralische Probleme mit sich. Die goldene Mitte sind Demonstrationen.

Julia Groth

dagegen

Demonstrieren gehen ist an sich eine feine Sache. Man kommt unter Leute, ist an der frischen Luft und rettet nebenbei noch ein bisschen die Welt - nicht. Denn das Problem an Demos ist, dass es BildungsministerInnen, chinesischen Politbüromitgliedern oder Weltkonzernvorständen in der Regel herzlich egal ist, dass man sich gerade auf der Straße den Arsch abfriert. Es sei denn, sie sind in dem Moment automobil in der Innenstadt unterwegs. Was die Egal-Haltung dann aber eher in die falsche Richtung verändert.

»Aber was ist mit den Nazis?«, werden jetzt Einige aufschreien. Die kann man doch nicht unbehelligt ihre braunen Parolen skandieren lassen! Doch, kann man. Sollte man vielleicht sogar. Denn wie schon ein ehemaliger Bundeskanzler in einem seiner helleren Momente richtig bemerkte: »Entscheidend ist, was hinten rauskommt.« Und in den Abendnachrichten sind das leider nicht die bürgerlichen Demonstrationsgutmenschen mit Luftballons und Kinderwagen, sondern die schwarz-rot geblockten KrawalltouristInnen, die überall dort auftauchen, wo man sich kostenfrei kalt abduschen lassen kann.

So richtig nützlich sind Demonstrationen nur für eine einzige Sache, nämlich fürs eigene Ego. Wem das neben der Tatsache bewusst ist, dass man mit lustig gereimten Spruchbändern auf der Straße faktisch überhaupt nichts verändert, kann sich bei seinen Wochenendspaziergängen gerne der nächstbesten größeren Menschenansammlung anschließen und eine Runde mitlaufen. Selbst wenn man aus Versehen die falsche Seite erwischt, nur keine Panik, davon geht das Abendland nicht unter. Und wenn man früh genug den Absprung schafft, hat man mehr Zeit für die samstägliche Shoppingtour. Die kann man dann dafür nutzen, sich die Etiketten eines »Free Tibet«-T-Shirts etwas genauer anzuschauen und es wieder zurückzuhängen, wenn da »Made in Bangladesh« draufsteht. Und wenn man noch mehr Zeit hat, weil man sich die Demo komplett geschenkt hat, kann man sogar versuchen, die VerkäuferInnen davon zu überzeugen, die Sweatshop-Shirts komplett aus dem Programm zu nehmen.

Gregor Leyser