Der »Nestbeschmutzer« von Bielefeld

Weil der Bielefelder Sozialwissenschaftler Heinz Gess seine Hochschule öffentlich kritisierte, leitete die Rektorin ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Von Carolin Wedekind

ProfessorInnen sollen ihre Hochschulen nicht öffentlich kritisieren. Das zumindest findet die Rektorin der Fachhochschule (FH) Bielefeld Beate Rennen-Allhoff. Anfang Juni leitete sie gegen den Sozialwissenschaftler Heinz Gess ein Disziplinarverfahren ein, weil er auf seiner Website kritiknetz.de Entscheidungen des Rektorats angegriffen hatte. Er hatte kritisiert, dass die FH sich seit 2007 von ihm und seiner Online-Publikation distanziere, nicht aber von dem Nazi Werner Georg Haverbeck, der in den Siebzigerjahren an der Hochschule lehrte.

Erstmals in Ungnade fiel Gess bei der Hochschulleitung im vergangenen Jahr. Mitglieder einer Bürgerinitiative besetzten die Bielefelder Paul-Gerhardt-Kirche, um gegen deren Umbau zur Synagoge zu protestieren. Gess veröffentlichte einen Artikel, in dem er die Besetzung als antijüdisch kritisierte. Daraufhin verklagten ihn die zwei Initiatoren der Besetzung, Eitel Riefenstahl und Hermann E. Geller. Rektorin Rennen-Allhoff ließ Links zu Gess' Website von den Hochschulseiten entfernen.

Im April dieses Jahres griff Gess die damaligen Ereignisse in einem anderen Text erneut auf. Auf kritiknetz.de veröffentlichten Journalist Peter Bierl und Politikwissenschaftler Clemens Heni einen Artikel über die Nazi-Vergangenheit Haverbecks. Er bekleidete mehrere NS-Ämter und engagierte sich auch zwischen 1972 und 1975, also während seiner Lehrtätigkeit an der FH Bielefeld, in rechtsextremen Organisationen wie der NPD-nahen »Gesellschaft für Freie Publizistik«. Im Vorwort des Artikels kritisierte Gess, dass die FH es im Fall Haverbeck nicht für nötig gehalten habe, »sich von seinem Tun oder seinen Schriften zu distanzieren«, dass Rektorat sich aber während der Kirchenbesetzung von Gess distanzierte. Er bemängelte auch, dass die Hochschule ihm nicht ausreichend Akteneinsicht gewährt, um herauszufinden, in welchem Ausmaß Haverbecks rechtsextreme Aktivitäten der FH Bielefeld bekannt waren.

Rektorin Rennen-Allhoff leitete daraufhin das Disziplinarverfahren gegen Gess ein. Mit der öffentlichen Kritik an Maßnahmen seiner Vorgesetzten habe er Dienstpflichten verletzt, urteilte sie. Gegenüber der philtrat möchte sich die FH nicht zu dem laufenden Verfahren äußern. Gess hält den Maulkorb für ungerechtfertigt. Er habe Rennen-Allhoff nicht persönlich angreifen wollen. In einem weiteren Artikel empört er sich, es handle sich bei seiner Hochschule um »einen Kindergarten, nicht aber um eine wissenschaftliche Community.«

Auch Autor Bierl kritisiert das Verhalten der FH und schickte ein Protestschreiben an das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium. Das Ministerium antwortete, es sehe keinen Anlass, in Sachen Gess tätig zu werden. »Durch das Hochschulfreiheitsgesetz ist seine Disziplinarvorgesetzte die Rektorin«, sagt Gess' Anwalt Tay Eich. Besonders problematisch findet er, dass sich die FH nicht inhaltlich zu Gess' Artikel geäußert hat, sondern ihm generell Kritik verbieten will. Eich findet das »grotesk, wenn man Gess' Forschungsschwerpunkt Antisemitismus beachtet.«

Über Haverbeck schrieb das Ministerium an Bierl, gäbe es keine Hinweise auf eine NS-Vergangenheit in der Personalakte. Er habe bei seiner Einstellung eine Eklärung zur Verfassungstreue unterschrieben. »Es ist ein politischer Skandal, dass das nicht eruiert wird«, sagt Bierl. »Haverbeck war kein kleines Licht und hat gegenüber der Fachhochschule seinen richtigen Namen verwendet. Dann zu sagen, es gäbe keine Hinweise, ist billig.«