Im vergangenen Dezember erlebten zwei Stockholmer GewerkschafterInnen einen wahren Alptraum. An einem Montagabend hörte das Paar, wie eine Flüssigkeit durch den Briefschlitz ihrer Wohnungstür gegossen wurde. »Am Geruch erkannte ich, dass es Benzin war«, berichtet eines der beiden Opfer, die anonym bleiben wollen. »Ich schrie so laut ich konnte: 'Wir haben ein Kind hier drinnen!' Es war unmöglich, dass sie das nicht hörten.« Einen Augenblick später zündeten die Unbekannten das Benzin an. Nur mit einer halsbrecherischen Aktion entging die Familie dem Flammentod. Die Eltern reichten ihre zweijährige Tochter vom Balkon aus den NachbarInnen auf dem Balkon darunter. »Wenn sie uns entglitten wäre, wäre sie jetzt tot«, sagen sie rückblickend. Die beiden MittzwanzigerInnen kletterten hinterher, während die Wohnung ausbrannte. PolizistInnen und Gewerkschaften vermuten hinter dem Brandanschlag Neonazis, denn diese sind in Schweden seit einiger Zeit wieder besonders aktiv.
Bei vielen werden derzeit Erinnerungen an Björn Söderberg wach, den Neonazis vor zehn Jahren in Söderort nahe Stockholm vor seiner Haustür erschossen. Ebenso wie die beiden erwachsenen Brandanschlagsopfer war Söderberg Mitglied der syndikalistischen Gewerkschaft Sveriges Arbetares Centralorganisation (SAC). Wegen solcher Ereignisse hatten internationale Medien Schwedens Neonaziszene in den Neunzigerjahren als besonders militant eingestuft.
Zwei Tage vor dem Attentat auf die GewerkschafterInnenfamilie hatte es bereits einen ähnlichen Vorfall gegeben. Ende November brannten Unbekannte das autonome Zentrum Cyclopen im Stockholmer Vorort Högdalen nieder. Einige BesucherInnen kamen nur knapp mit dem Leben davon. Die Polizei nimmt an, dass die TäterInnen dieselben waren, die zwei Tage später die Familie in ihrer Wohnung verbrennen wollten. Sie geht außerdem davon aus, dass der Anschlag auf das autonome Zentrum als Mordanschlag verübt wurde. Denn an diesem Abend sollte das schwedische Netzwerk gegen Rassismus dort eine Solidaritätsveranstaltung abhalten. Die Veranstaltung war zwar einige Tage zuvor abgesagt, aber trotzdem noch beworben worden.
Viele SchwedInnen sehen einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen und dem jedes Jahr im Dezember stattfindenden Salemmarsch, Schwedens größter Neonazi-Demonstration. Mit dem Aufmarsch in Salem nahe Stockholm erinnern die Neonazis an den Skinhead und Neonazi Daniel Wretström. Er wurde im Jahr 2000 bei einer Auseinandersetzung getötet und gilt in der rechten Szene als Märtyrer. Zum Salemmarsch kommen jedes Jahr mehrere hundert Neonazis sowie ähnlich viele GegendemonstrantInnen. Das Netzwerk gegen Rassismus versuchte bisher erfolglos, die rechte Demonstration zu verhindern.
Die Proteste gegen den vergangenen Salemmarsch am 6. Dezember werten schwedische PolitikerInnen als Erfolg. »Ich denke, dass unsere heutige Präsenz bewirken kann, dass sich uns im nächsten Jahr sehr viele Bewohner von Salem zu einem gewaltlosen Protest anschließen werden«, sagte Pia Ortiz-Venegas von der Partei Vänsterpartiet, die an der Gegendemonstration teilgenommen hatte, der Zeitung Dagens Nyheter am gleichen Tag. Viele schwedische Linke sind trotzdem besorgt. Denn auf einer von RechtsextremistInnen betriebenen Internetseite stehen seit einiger Zeit Namen und Fotos vieler linker AktivistInnen. Auch die zwei nur knapp dem Tod entronnenen GewerkschafterInnen waren in diesem Verzeichnis aufgeführt. Viele Linke fürchten, dass weitere Anschläge folgen könnten.