Dass er doch noch zum Vorbild werden würde, hätte sich Öff-Öff bestimmt nicht träumen lassen. Der Mittvierziger, der vor Jahren seine Papiere verbrannte, sein Eigentum verschenkte und seitdem in der Wildnis lebt, fand bisher vor allem in der Bild-Zeitung Beachtung. Die taufte ihn "Waldmensch" und berichtete unter dem Titel "Ich kriege jede Frau in meine Hütte" auch schon mal über seine amourösen Abenteuer in der Holzhütte im sächsischen Wald. Die Kapitalismuskritik, die hinter dieser radikalen Abkehr von der Zivilisation steht, fällt in den Berichten in der Regel unter den Tisch. Das könnte sich allerdings bald ändern. Denn Kapitalismuskritik macht Schule: Seit Banken kollabieren und ganze Länder pleite gehen, hat es den Anschein, als werde das allgemeine Misstrauen gegen den Kapitalismus, die Marktwirtschaft und ihre ErfüllungsgehilfInnen beinahe stündlich größer. So luden in Köln einige AktivistInnen Ende vergangenen Monats zu einem Treffen, bei dem Möglichkeiten vorgestellt wurden, Waren und Dienstleistungen umsonst zu bekommen. Es sieht ganz so aus, als sei die große Stunde der Umsonstbewegung angebrochen. Unter dem Stichwort Umsonstbewegung oder Umsonstökonomie lassen sich Initiativen und Einrichtungen zusammenfassen, die Güter nicht kaufen und verkaufen, sondern freiwillig unentgeltlich weitergeben. "Ein wichtiges Prinzip von Umsonstökonomie ist, dass sie nicht mit Tauschlogik funktioniert", erklärt die Historikerin und Volkswirtin Friederike Habermann, die an einem Buch über alternative Wirtschaftsformen arbeitet. So zählen zum Beispiel Tauschringe, deren Mitglieder Waren und Dienstleistungen untereinander tauschen, nicht dazu. Dafür aber die so genannten Umsonstläden. In diesen Läden können Leute Dinge abgeben, die sie nicht mehr benötigen, die aber noch funktionstüchtig sind. Andere LadenbesucherInnen können sie wiederum kostenlos mitnehmen. Im Gegenzug selbst etwas dazulassen, ist keine Bedingung für die Selbstbedienung - Umsonstläden funktionieren nicht durch Tausch, sondern durch sozialen Druck. Regelmäßige KundInnen in Umsonstläden dürften, wenn sie selbst nichts beisteuern, in der Regel früher oder später ein schlechtes Gewissen deswegen bekommen. Und sich deshalb genötigt fühlen, selbst Waren im Laden abzugeben. Hinzu kommt Druck, den KundInnen sich selbst machen: "Es ist schwieriger, zu nehmen, als zu geben", sagt Habermann. Der erste Umsonstladen öffnete 1967 in San Francisco. In Deutschland entstanden die ersten Umsonstläden in den Neunzigerjahren, als die Ideen der Umsonstökonomie hierzulande Einzug hielten. Deutschlandweit gibt es mittlerweile etwa fünfzig von ihnen. Seit den Neunzigerjahren haben sich quer durch Deutschland darüber hinaus auch viele andere Initiativen gegründet, die der Warenwirtschaft den Kampf angesagt haben. Umsonstläden finden sich vorrangig in Städten, doch auch auf dem Land blüht die Umsonstökonomie. So betreiben Umsonst-AktivistInnen auf einigen Bauernhöfen nichtkommerzielle Landwirtschaft: Landwirtschaft ohne finanziellen Lohn für die MitarbeiterInnen, deren Erzeugnisse unter den Beteiligten nach Bedarf verteilt werden. Und nicht danach, wer den größten Beitrag geleistet hat. Dieses Konzept birgt jedoch einen ideologischen Stolperstein. Denn außer dem unmittelbar Produzierten besteht auch Bedarf an anderen Gütern. Und diese müssen AktivistInnen in der Regel dann doch aus dem altbekannten kapitalistischen System beziehen. Um das Nötigste bezahlen zu können, werben sie meist Spenden ein. Auch das so genannte Containern ist wenig dazu angetan, den Kapitalismus zu stürzen - bedienen sich die, die es betreiben, doch an den Abfällen des Systems. Containern gehen heißt, dass man in Müllcontainern hinter Supermärkten, anderen Läden oder Fabriken nach weggeworfenen, aber noch brauchbaren Lebensmitteln oder anderen Gütern sucht. Wer es nicht aus einer finanziellen Notlage heraus betreibt, will damit kritisieren, dass hierzulande tonnenweise Lebensmittel weggeworfen werden, während in anderen Ländern Menschen verhungern. Das können die BoykotteurInnen der Wegwerfgesellschaft allerdings auch nicht verhindern. Bei anderen Formen der Umsonstökonomie oder alternativen Ökonomie ist gar Geld im Spiel - auch wenn es seines Status als nahezu heiliges Eigentum beraubt werden soll. In sogenannten Finanz-Koops organisieren sich kleinere Gruppen von Menschen, die ihr Geld miteinander teilen wollen. Das Grundprinzip: Alle Beteiligten werfen ihre Einkünfte in einen Topf. Aus dem dürfen sich alle Mitglieder der Koop ihren Bedürfnissen entsprechend bedienen. Ob auch Ersparnisse geteilt werden oder nur die laufenden Einkünfte, hängt vom jeweiligen Modell ab. Generell soll der finanzielle Druck, der auf Einzelnen lastet, geteilt werden, wenn möglich sogar ganz wegfallen. Das funktioniert allerdings nicht immer. Denn im Hintergrund lauert meist die Angst, zu viel Geld für sich selbst zu beanspruchen oder die anderen Beteiligten zu enttäuschen, wenn nicht genügend Geld für die Gemeinschaftskasse verdient wird. So wird in der Regel ein Druck gegen einen anderen ausgetauscht. Umsonstökonomie zielt zwar darauf ab, einen Beitrag zur Überwindung des Kapitalismus zu leisten, ist aber dazu verdammt, auf halbem Weg zu scheitern. "Man wird damit nicht die Welt verändern können", sagt Umsonst-Expertin Habermann. In ihrem neuen Buch bemüht sie deshalb die Metapher der Halbinsel: Umsonstökonomische Einrichtungen sind keine Inseln der Seligen vor der Küste des Kapitalismus. Sondern im besten Fall eben Halbinseln, die immer noch mit dem Festland verbunden sind. Und das werden auch viele finanzkrisenbewegte NeuaktivistInnen nicht ändern können.
Fehler im System
In der aktuellen Finanzkrise blüht die Umsonstbewegung auf. Ihre AnhängerInnen wollen teilen und so den Kapitalismus überwinden. Ihr Konzept ist allerdings zum Scheitern verurteilt.
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