Es muss unfassbar demütigend gewesen sein - und niemand griff ein: Im Februar wurde eine Journalistin im westafrikanischen Sierra Leone zusammen mit drei anderen Journalistinnen verschleppt und anschließend nackt durch die Straßen der Stadt Kenema getrieben. Die Frauen hatten sich einen Tag zuvor, am internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung an Frauen, im Radio kritisch gegen Frauenbeschneidung geäußert. Verantwortlich war offenbar die Geheimgesellschaft Bundu, die sich für Frauenbeschneidung einsetzt und deren Mitglieder diese auch praktizieren. Bundu-Chefin Haja Massah Kaisamba bekannte sich zu dem Angriff und begründete ihn damit, dass sich die Journalistinnen respektlos gegenüber der Tradition gezeigt hätten.
Frauenbeschneidung wird hauptsächlich in rund dreißig afrikanischen Ländern praktiziert, aber auch in Teilen Asiens und der arabischen Halbinsel. Den Betroffenen werden dabei je nach Beschneidungstyp meist Teile der Schamlippen und der Klitoris entfernt. Weltweit sind nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO etwa 140 Millionen Frauen und Mädchen an den Genitalien verstümmelt. Teils wird die Verstümmelung als Initiationsritus gesehen, teils aus ästhetischen, religiösen oder missverstandenen medizinischen Gründen vorgenommen. Unbeschnittene Frauen werden in Ländern und Regionen, in denen der Eingriff Tradition hat, oft sozial geächtet. Organisationen wie die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes und die WHO setzen sich dafür ein, Frauenbeschneidung zu verbieten. Sie haben jedoch mit Pro-Beschneidungs-Gruppen zu kämpfen, die starken Einfluss auf die Politik nehmen.
So eben auch die Geheimgesellschaft Bundu. Bundu ist ein afrikanischer ethnienübergreifender Frauenbund, der sich als politische Interessenvertretung seiner Mitglieder versteht und angeblich geheimes Wissen pflegt, unter anderem naturmedizinischer Art. Um als vollwertige Frauen anerkannt zu werden, müssen seine Mitglieder beschnitten sein. Bundu verfügt über hohen politischen Einfluss in Sierra Leone, wo Terre des Femmes zufolge etwa neunzig Prozent der Frauen und Mädchen beschnitten sind. PolitikerInnen des Landes werben regelmäßig um seine Unterstützung und sein Wohlwollen. "PolitikerInnen fürchten den Einfluss des Bundu", konstatiert Terre des Femmes. "Bis jetzt hat die Regierung deshalb keine landesweiten Aufklärungsprogramme gestartet." Ein Gesetz, das die Verstümmelungen verbietet, gibt es in Sierra Leone ebenso wie in vielen anderen Ländern nicht.
Bundu ist nicht die einzige Gruppe, die Lobbyarbeit für weibliche Genitalverstümmelung betreibt. Auch Beschneiderinnen wollen an der grausamen Tradition festhalten. Sie sind in vielen Regionen Afrikas eine hochangesehene und gutbezahlte Berufsgruppe, viele von ihnen ernähren ihre ganze Familie - ihre Jobs wollen sie nicht verlieren. Beschneiderin ist in weiten Teilen des Kontinents, vor allem in ländlichen Regionen, einer der wenigen akzeptierten Frauenberufe.
Auch die Organisation "African women are free to choose" macht sich für die Verstümmelung stark. Sie wurde im vergangenen Jahr von der aus Sierra Leone stammenden US-Professorin Fuambai Ahmadu gegründet. Ahmadu bezeichnet Frauenbeschneidung als wertvolle soziale und kulturhistorische Praktik und weist die Darstellung beschnittener Frauen als Opfer von sich. "Mehrere afrikanische Länder haben auf politischen Druck von Erste-Welt-Ländern, von deren Hilfe sie abhängig sind, gegen die Wünsche der Mehrheit der betroffenen Frauen Gesetze gegen Frauenbeschneidung erlassen", sagt sie. "Das wird in Sierra Leone nicht geschehen."