Sitzblockaden, brennende Barrikaden, Polizeihubschrauber und Schlagstockeinsätze - bei den Anti-Castor-Protesten Ende vergangenen Jahres ließen AtomkraftgegnerInnen und PolizistInnen für kurze Zeit die Siebziger- und Achtzigerjahre wieder aufleben. Die viel beachteten Castor-Transporte sind zwar seltener geworden. Immer noch rollen aber hunderte von LKW und Zügen mit radioaktivem Material durch Deutschland. Ihre Existenz ist allerdings in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Die Städte und Gemeinden, an denen die Transporte vorbeikommen, sind selten informiert. In Zukunft werden die Wagen mit der heißen Fracht vermutlich immer öfter an Köln vorbei rollen.
Die meisten Transporte organisiert die Firma Urenco, die ihren Sitz in den Niederlanden hat. Zu einem Drittel gehört sie den Energiekonzernen RWE und Eon. Urenco betreibt im westfälischen Gronau die einzige deutsche Urananreicherungsanlage und versorgt mehr als dreißig Atomkraftwerke mit Brennstoffen. Für den Betrieb der Anlage wird viel radioaktives Material transportiert: Zunächst wird Uranhexafluorid angeliefert und zu Brennelementen verarbeitet. Dann wird es, nun abgereichert, wieder abtransportiert. Diese Transporte rollen entweder über die Gleise der Deutschen Bahn, zum Beispiel an normale Güterzüge angehängt, oder in LKW über ganz normale Autobahnen.
Das ist alles andere als ungefährlich. Denn das radioaktive Uranhexafluorid reagiert mit Wasser zu hochgiftiger Flusssäure. Um den chemischen Prozess anzustoßen, reicht schon die in der Luft enthaltene Feuchtigkeit. Würde der Stoff bei einem Unfall freigesetzt, bestünde in einem Umkreis von hundert Metern akute Lebensgefahr, nach einigen Schätzungen gar in einem Umkreis von zwei Kilometern. Sollte die Feuerwehr einen möglichen Brand in einem solchen Fall mit Wasser löschen, wären die Folgen kaum abzusehen.
Die Firma Urenco hat ihre Anlage in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut und plant weitere Aufstockungen. AtomkraftgegnerInnen ist das ein Dorn im Auge. "Selbst bei der alten Kapazität der Anlage waren laut Urenco 720 LKW oder 271 Eisenbahnwaggons pro Jahr nötig, um das radioaktive Material zu transportieren", sagt Matthias Eickhoff von der Gruppe "Sofortiger Atomausstieg Münster". Sollte Urenco ihre Pläne verwirklichen, wird sich die Zahl der Transporte verdoppeln.
Seit 1996 transportierte die Firma ihren radioaktiven Müll in erster Linie nach Russland. Schätzungen zufolge waren es bisher etwa 27000 Tonnen. Im März wurde jedoch bekannt, dass Russland die Verarbeitung ausländischer Uranabfälle einstellen will. Die Verträge von Urenco mit ihren russischen PartnerInnen laufen Ende dieses Jahres aus. "Dann wird der Müll wohl zunächst durch Köln per Bahn Richtung Südfrankreich fahren", vermutet Eickhoff.
Das Ziel ist dann eine Uranfabrik in der Nähe der Stadt Pierrelatte. Köln wäre dann noch stärker als bisher von den gefährlichen Transporten betroffen. Viele von ihnen werden allerdings erst gar nicht bemerkt. "Soll in Zukunft weiterer Uranmüll von Gronau nach Frankreich geliefert werden? Was geschieht dort damit?", fragt Udo Buchholz vom Gronauer Arbeitskreis Umwelt (AKU). "Niemand weiß, wo dieses Material sicher und dauerhaft gelagert werden kann. Darum muss dafür Sorge getragen werden, dass kein weiterer Atommüll produziert wird."