Haste mal nen Euro?

Dafür und dagegen IX: SchnorrerInnen Geld geben - Ja oder Nein? Von Julia Groth, Nadine Gottmann

dafür

Eines der Probleme von BettlerInnen, wenn auch längst nicht das größte, ist, dass sie anderen Menschen unangenehm sind. Selbst denen, die nicht so politisch und moralisch verkommen sind, sie als Abschaum der Gesellschaft abzustempeln. Denn sie rufen beinahe automatisch ein schlechtes Gefühl hervor. Wer sich nicht mit einem schlechten Gewissen plagt, weil er ihnen kein Geld gibt, fühlt sich oft schlecht, weil er sich einem theoretisch gleichberechtigten Menschen gegenüber nicht gönnerhaft auftreten will. Menschen, die keinen Euro spenden wollen, berufen sich oft darauf, dass eine kleine Spende langfristig ohnehin nichts bringe oder dass es Aufgabe des Staates sei, sich um Mittellose zu kümmern. Eine zynische Ausrede. Denn bei unmittelbarer Not können schon wenige Euro helfen. Immerhin reichen sie für ein paar Brötchen oder einen Portion Pommes. Und wer, der Hunger leidet, kann schon die Argumentation würdigen, dass er es für einen guten Zweck tut, da so der Staat seine Verantwortung ihm gegenüber vielleicht irgendwann einmal ernster nimmt?

Manche Menschen spenden immerhin Lebensmittel oder Decken. Das ist zwar gut gemeint, aber herabwürdigend. Damit spricht man Mittellosen die Fähigkeit ab, selbst zu wissen, für was sie ihr Geld ausgeben müssen. Man entmündigt die Betreffenden und maßt sich an, zu wissen, was sie am dringendsten brauchen. Wer davon ausgeht, dass BettlerInnen das Geld ohnehin nur für Alkohol und Drogen ausgeben, beweist damit, wie vorurteilsbehaftet er ist. Und selbst wenn sich jemand vom gespendeten Geld Wodka oder andere Drogen kauft: Wer weiß, ob das nicht gerade die Produkte sind, die am dringendsten benötigt werden, um einen weiteren Tag auf der Straße zu überstehen?

Julia Groth

dagegen

Man sitzt unschuldig in der U-Bahnstation, liest noch ein Kapitel für ein Seminar und kaut sein Wurstbrötchen, da kommt ein Bettler vorbei und mit der Unbeflecktheit des Morgens ist es auch schon vorbei. Denn nun hat man zwei Möglichkeiten. Erstens: Man gibt dem armen Mann halt 'nen Euro. Das hat zur Folge, dass man selbst schon mal einen Euro weniger hat. Dann muss man sich fragen, ob es denn nun wirklich sinnvoll war, der Bitte des Bettlers nachzukommen. Wer weiß, ob er sich mit dem Euro nicht in weiteres Unheil manövriert, indem er zum Beispiel eine mögliche Sucht finanziert. Vor allem aber steht man einer endlosen Aufgabe gegenüber. Denn ein Euro ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Mann kann von einem Euro nicht leben. Nicht mal einen Tag. Außerdem ist er nicht der einzige Bettler. Zu glauben, dass man durch kleine Geldspenden irgendetwas an der allgemeinen Situation ändern könnte, ist utopisch.

Zweitens: Man schüttelt beschämt den Kopf und widmet sich schnell wieder seinen Seminarunterlagen. Das hat zur Folge, dass man ein schlechtes Gewissen bekommt. Und das ist auf keinen Fall fair. Nicht junge Leute, die sich mit einem Nebenjob ihr nicht gerade luxuriöses Leben finanzieren, sind für Sozialfälle verantwortlich, sondern der Staat. Der kann BettlerInnen und Obdachlose auch längerfristig in die Gesellschaft reintegrieren. Mit Hilfe zur Selbsthilfe nämlich - damit den Leuten ermöglicht wird, eine eigene Existenz aufzubauen, die verhindert, dass sie jeden Tag wieder am Bahnsteig auf- und abgehen und auf die Freigiebigkeit ihrer MitbürgerInnen hoffen müssen. Auf die ist in Zeiten der Wirtschaftskrise nämlich kein Verlass. Deshalb den Euro, den man übrig hat, lieber einer seriösen Organisation spenden und dem Bettler das Wurstbrötchen anbieten.

Nadine Gottmann