Die Debatte um Internetsperren in Deutschland hat die Piratenpartei in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gebracht. Seit der Europawahl hat sich die Mitgliederzahl der deutschen Piraten mehr als vervierfacht auf fast 4000. Auch an den Unis wächst das Interesse an den Piraten: An der Uni Ulm hat sich vor einem Monat die erste PiratInnen-Hochschulgruppe gegründet. Und auch in anderen Städten gibt es Studierende, die Themen wie informationelle Selbstbestimmung und Modernisierung des Urheberrechtes an ihre Hochschulen bringen wollen.
Das überrascht kaum, da die meisten der Ziele der Piraten die Forschung betreffen oder vor allem jüngere Leute ansprechen. Einer der Gründe für den Zulauf waren wohl die Proteste gegen das so genannte Zugangserschwerungsgesetz, besser bekannt als "Internetsperre." Es verpflichtet die Provider, den Nutzern ein Stoppschild zu zeigen, wenn sie auf Seiten mit kinderpornografischen Inhalten gelangen. Der Bundestag hat das Gesetz am 18. Juni beschlossen. Die KritikerInnen betrachten es als Beginn der Internetzensur in Deutschland.
Zu den Uniwahlen antreten wollen die etwa 20 Ulmer PiratInnen erstmal nicht, sondern ein Diskussionsforum bieten. "Unsere Themen sind für die Allgemeinheit wichtig, das ist ihr aber oft noch nicht bewusst", sagt Guido de Melo von den HochschulpiratInnen. "Es würde sehr viel helfen, wenn Leute mehr über diese Themen wüssten. Sie müssen nicht unserer Meinung sein, sollten aber fundiert entscheiden können." Die Gruppe trifft sich zur Zeit alle zwei Wochen, um sich selbst und andere Interessierte mit Vorträgen und Diskussionen weiterzubilden.
Als Beispiel für ein Thema, dessen Bedeutung unterschätzt wird, führt Hochschulpirat Sebastian Seiler die Vorratsdatenspeicherung an. Das umstrittene Gesetz, das Anfang 2008 in Kraft trat, verlangt, dass Telekommunikationsanbieter alle Verbindungsdaten für sechs Monate speichern, da sie eventuell für polizeiliche Ermittlungen genutzt werden könnten. "Gegen die Vorratsdatenspeicherung gab es zwar durchaus Protest", sagt Seiler. "Wenn es aber darum ginge, festzuhalten, wer an wen Briefe schreibt, gäbe es einen viel größeren Aufschrei."
Ein weiteres PiratInnenthema, mit dem die Hochschulgruppe sich beschäftigen will, ist Open Access. Darunter versteht man die Forderung, wissenschaftliche Texte kostenlos zugänglich zu machen. "Wissenschaftler forschen mit Steuergeldern, schreiben Artikel mit Steuergeldern und geben alle Rechte an Verlage ab, die diese Artikel dann teuer an die Unibibliotheken verkaufen", sagt de Melo, der selbst Mitarbeiter am Ulmer Institut für Medieninformatik ist. "Ich will nicht die Verlage abschaffen, sie sollten aber nicht alle Verwertungsrechte übertragen bekommen, wenn die Öffentlichkeit für die Inhalte zahlt." Die Öffentlichkeit werde zu Gunsten der Verlage enteignet. "Die Preise für den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur sind in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen", sagt de Melo. Und das, obwohl der Zugang zu Informationen durch die technische Entwicklung eigentlich einfacher und billiger werden müsste.
Auch gegen konkrete Probleme an ihrer Uni wollen die HochschulpiratInnen künftig etwas unternehmen. Ähnlich wie die Kölner Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (siehe Seite 1), verlangt auch die Ulmer Universität sensible persönliche Informationen auf ärztlichen Attesten für Prüfungstage. "Wozu haben wir eine ärztliche Schweigepflicht?", fragt de Melo. "Nur weil es auch Leute gibt, die ,krank feiern', kann man nicht die Rechte der Mehrheit einschränken."
Katharina Kerner, die in Köln im ersten Semester Sonderpädagogik studiert, hätte Interesse, eine Piraten-Hochschulgruppe zu gründen. Noch fehlen ihr potenzielle MitstreiterInnen. "Es gibt schon regelmäßige Piraten-Parteistammtische und Crews die sich im Raum Köln/Bonn engagieren und Wahlkampf betreiben", sagt sie. "Aber bisher konnten sie noch nicht viele Studenten erreichen." Kerners Anliegen sind vor allem die Forderung nach freiem Wissen und eine Reform des Patentrechts. "Mir ist es in erster Linie wichtig Leute zu finden, die sich informieren und sich vielleicht sogar, auch wenn erst zu einem späteren Zeitpunkt, engagieren wollen."
Begleitend zum Artikel erschien ein Hintergrundtext über die deutsche Piratenpartei.