Joseph Fischer lehnte sich weit aus dem Fenster: »Die internationale Koalition gegen den Terror ist für sich allein kein Freibrief für eine Invasion in irgendein Land«, sagte der Minister dem Spiegel. Öffentlich kritisierte er die Doktrin der »Achse des Bösen«, den amerikanischen Rüstungshaushalt bezeichnete er als zu hoch. Später stellte sich heraus, dass der Fischer-Vorstoß in der Regierung abgesprochen war und die Regierung arbeitsteilig vorgeht: Fischer spielt den Kritiker, Schröder gibt sich zurückhaltend.
Die konservative Opposition sieht Fischer bereits in alten Straßenkämpferzeiten wandeln und vermutet wahltaktische Gründe für den Vorstoß. Doch diese Interpretation übersieht die unterschiedliche Interessenlage zwischen Europa und den USA wie auch die Ambition der EU, selbst zur militärischen Großmacht aufzusteigen.
Der größte Streitfall ist das geplante kriegerische Vorgehen gegen den Irak. Beim Golfkrieg 1990 hatten Frankreich und Großbritannien noch an der Seite der USA Krieg gegen den Irak geführt, Deutschland hatte einen Großteil der Kriegskosten übernommen. Diesmal ist die Lage anders. Nicht mal Kuwait befürwortet derzeit einen Krieg gegen den Irak, Deutschland befürchtet eine Verschlechterung des Verhältnisses zur arabischen Welt, einen steigenden Ölpreis und nicht zuletzt eine Rezession in Europa. Wirtschaftlich betrachtet sei ein Krieg ein »unfreundlicher Akt« gegen Europa, zitiert die Frankfurter Rundschau (FR) ein nicht namentlich genanntes Regierungsmitglied. Die Kritik aus Berlin wird in anderen europäischen Hauptstädten geteilt.
Auch in den Reihen der Union wächst der Unmut über die USA. Als Eisbrecher fungiert der außenpolitische Sprecher der Partei, Karl Lamers. Dieser beklagte ebenfalls in der FR vom 13. Februar »die stark aufs Militär fixierte Art, wie die USA vorgehen«. Die Europäer sieht der Christdemokrat auf den Status von »legitimierenden Hilfstruppen« herabgesunken. Lamers kommt schnell zum Punkt: Die EU brauche eine eigene Armee, die Europäer müssten »endlich in den Stand kommen, eine Rolle zu spielen, die ihren Interessen entspricht«. Dass irgendwann der Moment kommt, wo ein deutscher Kanzler dem amerikanischen Präsidenten »So nicht!« sagt, hält Lamers konsequenterweise nicht mehr für ausgeschlossen.
Bemerkenswert ist auch die Kritik des deutschen Außenministers am amerikanischen Rüstungshaushalt. Der Grund dafür ist einfach: Die europäischen NATO-Staaten können dort nicht mehr mithalten, wo die Position der EU-Länder und damit auch Deutschland gegenüber dem mächtigen Verbündeten jenseits des Atlantiks geschwächt wird.
Zur Stärkung der eigenen Position strebt die EU an, das eigene Militärpotenzial zu erhöhen. Beim EU-Gipfel in Helsinki wurde deshalb 1999 beschlossen, eigene Krisenreaktionskräfte aufzustellen. In Zukunft soll auch die EU in die Lage versetzt werden, Kriege zu führen, wie Gustav Hägglund, der Vorsitzende des Militärkomitees der EU (EUMC), am 22. Januar deutlich machte: »Man hat gesagt, die USA werden den Krieg führen und die EU wird für den Frieden zuständig sein, indem sie zivile und humanitäre Aufgaben ausführt. Das war so und bezieht sich auf die Vergangenheit, aber das stimmt für die Zukunft nicht.«
Doch ohne mehr Geld lässt sich der Abstand zu den USA nicht verringern. Bisher will jedoch niemand in Berlin diese »Rüstungslücke«, die sich wohlgemerkt nicht zwischen der NATO und einem Feind, sondern innerhalb der NATO auftut, mit zusätzlichen Finanzmitteln stopfen. Ausgabenerhöhungen wie in den USA sind momentan in Europa nicht denkbar. Durch Einsparungen, Zusammenarbeit und Effizienz, so der Tenor deutscher Politikerinnen und Politiker auf der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Januar, sollten die notwendigen Gelder bereitgestellt werden. CDU-Chefin Angela Merkel mahnte sogar, dass die deutschen Anstrengungen »nicht allein an den Verteidigungsausgaben« gemessen werden sollten.
Der Rüstungsindustrie ist mehr Effizienz zu wenig. Die beiden Chefs des europäischen Rüstungsgiganten EADS, Rainer Hertrich und Philippe Camus, fordern inzwischen offen mehr Geld. Hertrich, der auch Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) ist, will eine Erhöhung des deutschen Wehretats um 2,5 Milliarden auf rund 26 Milliarden Euro im Jahr, da die »technologische Kooperationsfähigkeit« mit den USA in Gefahr sei. Europa müsse »gleiche Augenhöhe« mit den USA erreichen. Der Bundeswehr bescheinigte Hertrich eine »Ausrüstungslücke«. Deutschland müsse seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung neuer Waffen steigern. »Franzosen und Briten stellen heute zusammen ca. 75% des militärischen Forschungs- und Technologiebudgets in Europa, wir Deutschen lediglich 14%.«
Hertrichs EADS-Kollege Camus machte am 18. Februar in der International Herald Tribune höhere Rüstungsausgaben als »Win-win-Situation« schmackhaft: Sicher würde die EADS profitieren, räumte der Rüstungsmanager ein. Erstens könne sie aus einer stärkeren Position heraus mit amerikanischen Unternehmen kooperieren und zweitens beim Exportgeschäft in Länder außerhalb Europas konkurrenzfähiger sein. Doch auch die Regierungen würden profitieren: Sie würden »bessere Produkte für weniger Geld« bekommen.