Noch vor anderthalb Jahren schien im Nahen Osten eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts bevorzustehen, inzwischen hat sich die Situation radikal verändert. Dafür gibt es im wesentlichen zwei Ursachen: Das Scheitern der Gespräche zwischen Barak und Arafat und die zugrunde liegende schwer überbrückbare Diskrepanz zwischen den verschiedenen Diskursen der jeweiligen Seite. Letzteres wiegt offensichtlich schwerer als der gewiss vorhandene Wille zur Lösung des Konflikts und die Bereitschaft, auf Maximalforderungen zu verzichten. Im Zusammenspiel mit einer deutlichen Kluft zwischen den Bekundungen und den Taten der jeweiligen Parteien entstand die heutige explosive Mischung.
Als Ehud Barak an die Macht kam, versprach er Frieden innerhalb eines Jahres. Er ging mit seinen Zugeständnissen viel weiter, als jeder israelische Premier vor ihm. Er erklärte sich bereit, auf 91 Prozent der besetzten Gebiete und auf Teile Ostjerusalems zu verzichten, die zu annektierenden restlichen neun Prozent durch Gebietstausch zu kompensieren und eine »befriedigende Lösung« der Flüchtlingsproblematik im Vertrag festzuschreiben.
Tatsächlich aber blieb das Angebot unter den Minimalforderungen der PalästinenserInnen. Baraks Plan sah vor, das Westjordanland durch zwei Siedlungsschneisen zu zerschneiden. Als Folge wäre der palästinensische Staat praktisch dreigeteilt worden. Zudem beherbergen die restlichen neun Prozent des Gebiets etwa vierzig Prozent der palästinensischen Wirtschaftskraft und einen Großteil der Wasserressourcen. Darüber hinaus wollte Barak den PalästinenserInnen die zivile Lufthoheit und die Hoheit über ihre künftige Grenze mit Jordanien nicht überlassen.
In Camp David traf sich Barak im Jahr 2000 nur kurz mit Arafat, dem er sein Angebot ohne Verhandlungen aufdrücken wollte. Seine Rhetorik offenbarte exemplarisch das Denkmuster, das sich bis tief in die Reihen der Linken durchgesetzt hat. Es ist die Mentalität des Eroberers gegenüber dem Beherrschten: Der Gegenseite etwas schenken, mit ihr jedoch nie auf Augenhöhe sprechen.
Doch hätte der Verlauf der Verhandlungen allein nicht zu ihrem Scheitern geführt. Die Grundzüge des von Barak unterbreiteten Angebots waren darüber hinaus durch die Geschichtsschreibung des israelischen Gründungsmythos geprägt, die die andere Seite nicht akzeptieren konnte.
Als der Zionismus erstmals die Weltbühne betrat, sollte er eine Antwort auf den nationalen Wahn in Europa, auf den Antisemitismus und die Pogrome geben. Doch war der Zionismus auch ein Kind seiner Zeit. So wurde - in bester kolonialer Tradition - von einer kaum besiedelten Wüste, die man befruchten müsse, gesprochen, einer Art Mondlandschaft, die als Heimat des jüdischen Volkes fungieren sollte.
Der zionistische Grundkonsens, an dem auch die israelische Linke festhält, verhinderte zu akzeptieren, dass die gerechte Lösung für die JüdInnen zugleich ein Unrecht an einer Bevölkerung einschloss, die geschichtlich keinen Anteil an der Judenverfolgung hatte. Dieser Grundkonsens enthält einen wahren Kern, deshalb ist er so schwer angreifbar und auch für Linke so verführerisch: Die Tatsache, dass die JüdInnen seit jeher die Opfer von Verfolgung waren, ist seit der Shoah nicht zu leugnen. Doch eben die Shoah verstärkte den Trugschluss, die Rolle der JüdInnen in der Weltgeschichte sei stets die der Guten, die angegriffen werden.
Ohne die Anerkennung der palästinensischen Tragödie und der Tatsache, dass Unrecht geschah, kann es dagegen für die PalästinenserInnen keinen gerechten Frieden geben. Sie führen ihren Kampf selbst als einen Kampf um ihre Identität, einen Unabhängigkeitskrieg, bei dem es auch um die Durchsetzung einer eigenen Geschichtsschreibung geht, die von der Außenwelt wahrgenommen werden will.
Auch für die PalästinenserInnen ist die Erzählung klar. Sie hatten friedlich in ihren Dörfern und Städten gelebt, bis die ersten SiedlerInnen aus Europa kamen. Mit diesen hatten sie keine Feindschaft, bis sie feststellen mussten, dass es zu einer jüdischen Massenemigration nach Palästina kommen würde und ein jüdischer Staat gegründet werden sollte, an dem man sie nie teilhaben lassen wollte. Den Krieg gegen die westliche Immigration verlor das arme Bauernvolk unter enormen Verlusten. Es wurde vertrieben oder flüchtete und lebt seitdem in Flüchtlingslagern außerhalb der Heimat, auf die Rückkehr in diese Heimat wartend.
Darin liegt die explosive Gewalt der Flüchtlingsfrage. Denn die Flüchtlinge sind der lebende Beweis für das palästinensische Leid. Von ihrer Warte aus sind ihre Forderungen klar und gemäßigt: Alle 1967 besetzten Gebiete müssen samt dem 1967 eroberten Ostjerusalem zum Staat Palästina gehören, die konkrete Lösung der Flüchtlingsfrage muss fester Bestandteil des endgültigen Friedensvertrages sein. Den PalästinenserInnen scheint das wenig, haben sie damit Anspruch auf gerade 23 Prozent Palästinas.
Als die PalästinenserInnen den Friedensplan ablehnten, war der Aufschrei groß. Nicht einmal Barak gehe ihnen weit genug. Dabei erreiche er einen Punkt, an dem zuvor nur Israels kleine radikale Linke zu orten war. Er wusste keinesfalls die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich.
Die israelische Linke fühlte sich von der Gegenseite regelrecht verraten und zerfiel innerhalb weniger Monate. Für sie bewies die Ablehnung, dass es den PalästinenserInnen nicht um eine Kompromisslösung gehe, sondern dass sie die Existenz Israels revidieren wollten. Alles andere sei nur Taktik. Oder wie es der Chefkommentator der linksliberalen israelischen Tageszeitung Ha'aretz formulierte: »Der wirkliche Disput ist nämlich, ob Arafat bei seinen Unternehmungen auf eine Versöhnung zwischen den Völkern zielt , während, den Palästinensern nach, der Krieg gegen Israel und das gesamte jüdische Volk zur Diskussion steht.«
Jetzt also ging es wieder zu wie in alten Zeiten, als der Staat jung war und die Bevölkerung klein und schlecht gerüstet. Es ging um die nackte Existenz des jüdischen Staates. Damit war der Weg frei für eine Rückkehr in die Nestwärme einer Konsensgesellschaft, die ihres Weges sicher ist und jede Situation, auch Bomben und Tote, meistern kann - mit der Kraft, die jene Gewissheit mit sich bringt, keinen anderen Ausweg, keine Alternative parat zu haben.
Das Problem auf der palästinensischen Seite liegt weniger an ihren Positionen als an ihrer Schwäche. Dadurch ist der Spielraum ihrer Führung gering, die Konsequenz ist eine zunehmende Radikalisierung der Straße. Das öffnet den Radikalen die Möglichkeit, Einfluss zu gewinnen. Damit sind Taten auf der Tagesordnung, die eine mögliche Lösung noch weiter verzögern, wenn nicht ganz unmöglich machen können. Bleierne Zeiten.
Tsafrir Cohen arbeitet als Journalist für hebräische und deutschsprachige Medien. Den Text entnahmen wir gekürzt den subtropen Nr. 13 vom Mai 2002.