Was muss man über deutschen Punk wissen? Viele, die dabei an die Ärzte und die Toten Hosen denken und vielleicht noch die Abstürzenden Brieftauben - dem Namen nach - kennen, behaupten: gar nichts. Dass die Punkbewegung in Deutschland jedoch viel mehr - und etwas ganz anderes - war und ist, und dass es außerdem noch Spaß macht, diese Zeit von 1976-1982 kennen zu lernen, beweist der »Doku-Roman« Verschwende Deine Jugend des Journalisten Jürgen Teipel.
»Doku-Roman« wohl deshalb, weil der Autor sich in seiner Funktion darauf beschränkt hat, aus rund tausend Interviews mit den Protagonisten der Szene das »Wesentliche« auszuwählen, und die verschiedensten Stimmen, von Diedrich Diederichsen bis Alfred Hilsberg, von Campino bis Blixa Bargeld, zu Wort kommen zu lassen. Herauskommen ist ein erstaunlich vielschichtiges, polyphones Gebilde, das dazu noch unterhaltsam und spannend ist. In der Reise durch die Hauptstädte des Punk (zu denen Teipel - nicht unumstritten - Berlin, Düsseldorf und Hamburg macht) wird man »mit hundert Wahrheiten« konfrontiert, hört von Erfolgsgeschichten und Zusammenbrüchen und kann sich seine ganz persönlichen HeldInnen heraussuchen. Kleinen Anekdoten, Geschichten von Konzerten und detailfreudigen Erzählungen über Punk-Look(s), Dosenbier und natürlich Musik wird glücklicherweise weitaus mehr Platz eingeräumt als hochtrabenden Ideologien. So entsteht bei der Lektüre des chronologisch gehaltenen Romans das Bild einer sehr heterogenen Bewegung, der eigentlich nur ein paar Eckdaten und der Wille, anders zu sein, gemeinsam war. Als Initiation kann neben der herüberschwappenden englischen Punk-Welle vor allem die erste Platte der Ramones zählen. Das Ende dieser Zeit wird von den meisten Erzählenden einstimmig mit dem Aufkommen des hirnlosen Fun der Neuen Deutschen Welle eingeläutet.
Der Wille zum Anderssein, der sich am ehesten in Mode und Musik ausdrückte, brauchte natürlich auch seine Feindbilder, die nicht nur im miefig-bürgerlichen Elternhaus, sondern auch im »Love-and-Peace-Geschwätz« der Hippies gesucht wurden. Die Punks der ersten Stunde wollten Tabus brechen, die nicht nur in der älteren Generation bestanden, sondern auch von den »endlos diskutierenden« 68ern bestenfalls verdrängt worden waren. In die Tat umgesetzt, konnte das vom Herumlaufen mit Hundehalsband bis zum Kokettieren mit dem Nazismus reichen - doch vorgeblich immer mit einem Augenzwinkern, einer fast schon klassisch dekonstruktivistischen Ironie, als auf die Spitze getriebene Parodie.
Es ist wahrscheinlich genau diese Lust an der Provokation, die den Erzählungen dieses Buches einen - leicht schizophrenen - Drive gibt, das Oszillieren zwischen pubertärem Ausloten der eigenen Grenzen und avantgardistischer Neuerung.
Ob man nun nach der Lektüre bereut, dass man seine Jugend nicht verschwendet hat oder für die Gnade der späten Geburt dankbar ist: Man ist schon versucht, H&M-Tops und Großraumdiscos mit Chartsmusik gegen das »Jeder kann mitmachen« dieser kurzen Ära zu halten. Vielleicht war Punk auch nur eine Art der Jugendkultur unter vielen anderen. Vielleicht - und darauf weist Verschwende Deine Jugend ganz unaufdringlich hin - kann man Punk aber auch als Bedingung damals neuer Möglichkeiten ansehen, die nicht nur die heutige Musik stark beeinflusst haben (man denke nur an die vielfältige Elektronik-Szene oder an Bands wie Tocotronic), sondern sich auch dann noch manifestieren, wenn man sich ganz selbstverständlich die Haare färbt oder ein Piercing machen lässt.
Jürgen Teipel: Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2001, 12,50 Euro.
Doppel-CD »Verschwende Deine Jugend«, präsentiert von Jürgen Teipel und Frank Fenstermacher. Universal Records 2002, 22,90 Euro.