Besetztes Haus und Möbellager

Seit mehr als zwanzig Jahren existieren in Köln zwei Ableger der Sozialistischen Selbsthilfe Köln. Ihre BewohnerInnen entziehen sich den üblichen Lebensvorstellungen. Von Volker Elste

Eigentlich hebt sich der verklinkerte Flachbau in der Liebigstraße 25 nur durch das Transparent an der Häuserfront von den Gebäuden in der Umgebung ab. »6. antirassistisches Grenzcamp« ist darauf zu lesen. Eher unscheinbar wirkt hingegen die Aufschrift »SSK Gebraucht-Möbellager« an der Fassade. Seit mehr als zwanzig Jahren existiert in Ehrenfeld die Sozialistische Selbsthilfe Köln (SSK) auf dem Gelände einer ehemaligen Tankstelle. Und sie sorgt noch immer für Gesprächsstoff bei den AnwohnerInnen.

»Wenn ich nachts bei geöffnetem Fenster im Bett liege«, grinst Florian, »höre ich oft, wie sich PassantInnen das Maul über die SSK und den Bauwagen im Garten zerreißen.« Neben dem Dreißigjährigen, der 1999 in die Liebigstraße gezogen ist, leben momentan 15 weitere Personen im Wohnkomplex in Ehrenfeld. »In der SSK am Salierring sind es ebenfalls 16 BewohnerInnen«, erzählt Florian: »Im Grunde handelt es sich aber um zwei selbstständige Gruppen, die sich gegenseitig helfen; zum Beispiel, wenn der LKW defekt ist.«

Mit dem bis heute bestehenden Möbellager stellte sich die SSK 1975 ökonomisch auf eine neue Grundlage und änderte ihren Namen von Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Köln in Sozialistische Selbsthilfe Köln. Im Jahr zuvor hatte die Stadt Köln dem 1969 gegründeten Verein die finanzielle Unterstützung gestrichen. Zudem wurde die SSK, die Anfang der Siebzigerjahre in Köln maßgeblich an der Bewegung gegen die so genannte Fürsorgeerziehung beteiligt war, verboten.

Bis zu zweihundert obdachlose Jugendliche lebten zu dieser Zeit in den über die ganze Stadt verstreuten Unterkünften der SSK. Es handelte sich zumeist um aus Heimen geflüchtete Jugendliche. So genannte SSK-Stoßtrupps befreiten allerdings auch »Fürsorgezöglinge« aus Heimen und nahmen sie in ihren Wohnungen auf. Fürsorgeerziehung sei offene Gewaltanwendung, lautete die Begründung der SSK für ihr Vorgehen. Sie bezog sich hierbei unter anderem auf die Behandlung der HeiminsassInnen: »Diese Gesellschaft ist ein Produktionsbetrieb. Sie produziert Angepaßte: Arbeits- und Konsumsklaven. Der Ausschuß verschwindet in Heimen, Gefängnissen, Irrenhäusern«, schrieben die beiden SSK-Mitarbeiter Lothar Gothe und Rainer Kippe in ihrem 1970 erschienenen Buch Ausschuß.

Der politische Aspekt sei heute nicht mehr der Mittelpunkt der SSK-Arbeit, urteilt Florian. Für ihn steht hinter der SSK eher die Vorstellung eines gemeinsamen Lebens und einer gemeinsamen Ökonomie. Einer nicht auf Gewinn ausgerichteten Ökonomie, schiebt er nach. So führt das Möbellager der SSK in der Regel nur einen Umzug pro Woche durch. Als Arbeitszeit kommen noch die Öffnungszeiten des Lagers hinzu. Der Wochenplan sieht aber selten mehr als zwei bis drei Arbeitstage pro BewohnerIn vor. »Bei finanziellen Engpässen der SSK kann es auch mal etwas mehr sein«, lacht Florian, um dann sofort wieder ernst zu werden: »Das Möbellager ist unsere Firma und soll die Unabhängigkeit von städtischen und staatlichen Stellen garantieren.« Daher verzichtet die SSK auch auf jede finanzielle Unterstützung seitens der Stadt und des Landes.

Ein Fixpunkt ist das wöchentliche Großplenum, das jeden Freitagmorgen stattfindet. Hier wird alles besprochen, was die Gemeinschaft betrifft, unter anderem die Arbeitseinteilung für die kommende Woche. Aber auch die Unterstützung politischer Initiativen steht häufig auf der Tagesordnung. Wurde in den Siebzigerjahren über die Aufnahme obdachloser Jugendlicher und pädagogische Konzepte diskutiert, unterstützt die SSK heute zumeist antirassistische Gruppen und MigrantInnenbewegungen, wie im Fall des Antirassistischen Grenzcamps. Bei dem jährlich stattfindenden Treffen kommen Menschen aus ganz Europa zusammen, um in einer Aktionswoche auf die unmenschliche Behandlung von MigrantInnen hinzuweisen. Zudem bezieht die SSK immer wieder Stellung zu lokalen Themen, wie zum Beispiel zu der seit Jahren anhaltenden Verdrängung von so genannten Randgruppen aus der Kölner Innenstadt.

Florian versteht die SSK nach wie vor als ein politisches Projekt - obwohl sie sich nicht mehr wie in ihren Anfangszeiten auf einen Aspekt konzentriert. »Bereits die Existenz der SSK ist eine politische Aussage«, betont er. Die SSK sei der lebende Beweis dafür, dass man sich der kapitalistischen Verwertungslogik teilweise entziehen könne. Für ihn war dies unter anderem der Grund, sein Studium an der Erziehungswissenschaftlichen und der Heilpädagogischen Fakultät der Universität Köln abzubrechen. »Im Streik 1993 hatte ich für kurze Zeit das Gefühl, dass die StudentInnen sich Gedanken über derartige Dinge machen«, erinnert er sich. »Aber es handelte sich nur um eine Illusion. Alle fielen schnell wieder in den alten Trott zurück.« Für ihn jedoch hatte das Studium seinen Sinn verloren, seine Lebensvorstellung ließ sich auch ohne Abschluss realisieren.

Heute arbeitet er soviel, wie er zum Leben braucht und hat jede Menge freie Zeit. Auch bezahlt er keine Miete, da die BewohnerInnen der SSK nur für die Nebenkosten aufkommen müssen. Bis auf ein Haus befindet sich das gesamte Areal im Besitz der Stadt Köln. »De facto handelt es sich um besetzte Häuser«, urteilt Florian. Und dies obwohl ein Vertrag mit der Stadt existiert, der alle zehn Jahre erneuert werden muss.

Als »Eigentümer ohne Eigentum« sieht Florian daher die SSK. Allerdings ist dies so nicht ganz richtig. Denn das Haus, in dem auch Florians Zimmer ist, hat der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll in den Siebzigerjahren der SSK überschrieben: »Die SSK erfüllt eine wichtige und notwendige Aufgabe, der die Behörden hilflos gegenüberstehen«, wird Böll in dem 1974 erschienenen Buch Aufbruch zitiert, das die Frühgeschichte der SSK beschreibt. Florian kennt diese Zeit nur aus Erzählungen älterer SSK-BewohnerInnen. Für ihn erfüllt die SSK aber auch heute noch eine wichtige Aufgabe.

Die Bücher Ausschuß und Aufbruch sind in der SSK Ehrenfeld erhältlich. Kontaktmöglichkeiten und Informationen sind im Netz unter www.sozialistischeselbsthilfekoeln.de zu finden .