BAföG: Alles nur Abzocke?

Im Rahmen eines Datenabgleichs werden 300000 BAföG-EmpfängerInnen überprüft, ob sie wahrheitsgemäße Angaben zu ihren Vermögensverhältnissen machten. JedeR fünfte soll angeblich betrogen haben. Von Patrick Gomolka

Schon immer konnten die BAföG-SachbearbeiterInnen bei begründetem Anfangsverdacht die Finanzen der AntragstellerInnen überprüfen. Beim bundesweiten BAföG-Datenabgleich werden nun erstmals generalstabsmäßig die Vermögensverhältnisse aller BAföG-BezieherInnen ausgehend vom Bezugszeitraum des Jahres 2001 untersucht. Noch bevor die Untersuchung abgeschlossen ist, vermeldet die Presse bereits, jedeR fünfte AntragstellerIn habe zu Unrecht Leistungen bezogen. Wer über hundert Euro Zinseinkünfte habe, so wird es zum Teil in den Medien transportiert, hat zu Unrecht BAföG erhalten. Der momentane Medienstar in Sachen BAföG-Betrug ist ein Student, der über 200000 Euro jährliche Zinseinkünfte bezogen haben soll. Dieser Fall eignet sich indes vorzüglich für die derzeitige SozialschmarotzerInnen-Kampagne von Presse und Bundesregierung.

Tatsächlich wird ab Zinserträgen in Höhe von hundert Euro eine eingehende Überprüfung des Falls eingeleitet. Dann erfolgt zwar eine detaillierte Überprüfung der Vermögensverhältnisse, was jedoch nicht bedeutet, dass die zulässigen Freibeträge überschritten wurden, die im Jahr 2001 von sechstausend auf zehntausend Mark anstiegen. Bei fünf Prozent Zinsen, die im fraglichen Zeitraum durchaus zu erzielen waren, reicht bereits ein Vermögen von zweitausend Euro aus, um hundert Euro Zinseinkünfte zu erwirtschaften.

»Problematisch ist«, so André Moeller, Sozialberater an der Universität Köln, »dass die Landesregierungen in der jetzigen Phase der Überprüfung bereits an die Öffentlichkeit treten, ohne endgültige Ergebnisse des Datenabgleichs liefern zu können. Studierende werden so kollektiv als BetrügerInnen diffamiert.« Hier werde Lobbyarbeit für Studiengebühren und gegen ein sozial gerechtes, allgemein zugängliches Studium betrieben. So schreibt zum Beispiel die Cellesche Zeitung unter dem Schlagwort »BAföG-Betrug«: »Bekanntermaßen ist das Geschrei groß, wenn die Landesregierung bei den Hochschulen sparen oder Studiengebühren einführen will. Doch andererseits zocken Studenten den Staat ab und sorgen dafür, dass sich die Finanzlage […] weiter verschärft.«

Was in der Berichterstattung untergeht, ist die Tatsache, dass in vielen der überprüften Fälle unklar ist, ob die Betroffenen überhaupt EigentümerInnen des Vermögens sind. Das kann der Fall sein, wenn Großeltern zweckgebunden Gelder überschreiben, die zu ihrer späteren Pflege verwendet werden sollen, im Falle einer gemeinsamen Kontoführung oder wenn Eltern Gelder auf den Namen ihrer Kinder anlegen, um zusätzliche Steuerfreibeträge zu nutzen. Anschaulich ist vielleicht auch der Fall eines Studenten, der im Laufe seines Studiums mit insgesamt 11 MitbewohnerInnen in verschiedenen Wohngemeinschaften zusammenlebte und durchgehend die Kautions- und Haushaltsgeldkonten verwaltete. Nach der jetzigen Praxis müsste er alle ehemaligen MitbewohnerInnen ausfindig machen und sich bestätigen lassen, dass dieses Geld nicht zu seinem privaten Vermögen zählte.

Der freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) weist darauf hin, dass BAföG-EmpfängerInnen ohnehin gegenüber ihren KommilitonInnen benachteiligt sind: kein/e von den Eltern finanzierte/r StudentIn müsse ein Darlehen an die GeldgeberInnen zurückzahlen. Der fzs fordert daher gesetzliche Anpassungsmaßnahmen. Zunächst müsse dringend eine rückwirkende Erhöhung der Freibeträge auf 5100 Euro auch für die Jahre vor 2001 beschlossen werden, um unfaire Geldbußen und Strafen zu vermeiden. Zudem müsse es erlaubt sein, Rücklagen zu bilden, die eine Weiterführung des Studiums nach Wegfall der Förderung ermöglichten. Damit könnten Studienabbrüche vermieden und die Studienaufnahme für viele erleichtert werden.

Für den Münsteraner Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler stellt sich die Frage, inwiefern ein Datenabgleich nach Rasterfahndungsmethoden überhaupt rechtmäßig ist. Die dahingehend geäußerten Bedenken der Landesdatenschutzbeauftragten wurden jedenfalls außer Acht gelassen. Dass von den Landesämtern die Datensätze zum Abgleich weitergegeben werden, hält Achelpöhler für unzulässig. Mit den persönlichen Daten, die bei Antragstellung von den StudentInnen angegeben werden, müsse »vernünftig umgegangen werden«, äußerte der Verwaltungsrechtler gegenüber dem Deutschlandfunk. In der Regel muss ein konkreter Missbrauchsverdacht bestehen, bevor beim Bundesamt für Finanzen Auskünfte eingeholt werden können. Weiterhin muss ein vorheriges Auskunftsersuchen an die LeistungsempfängerInnen erfolglos gewesen sein. Mittlerweile sind erste Verfahren gegen die Rasterfahndung in Sachen BAföG anhängig.

»In Zeiten großzügiger Steuergeschenke und Steueramnestien wird hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Wer große Geldsummen ins Ausland geschafft hat, kommt bei nachträglicher Deklarierung seines Vermögens straffrei und mit einer verhältnismäßig niedrigen Pauschalbesteuerung von 25 Prozent weg. Bei den BAföG-EmpfängerInnen aber wird bereits eine geringfügige Überschreitung des Freibetrages geahndet«, so Moeller. Seines Erachtens nach hat die Jagd auf so genannte BAföG-BetrügerInnen politische Hintergründe. Nach dem Anstieg der BAföG-EmpfängerInnenzahl von 240000 auf 300000 infolge der halbherzigen 21. BAföG-Novelle, versuche die Bundesregierung nun, mit Abschreckungsmaßnahmen die Zahl der Anträge wieder zu reduzieren und die Mehrausgaben zu refinanzieren.