Das Hauptgebäude - noch ohne WiSo-Turm - existierte bereits, aber Philosophikum, Hörsaalgebäude oder auch Universitätsbibliothek waren bestenfalls kühne Phantasien. Der noch spärliche Autoverkehr floss ebenerdig am Hauptgebäude vorbei, die Immatrikulationszahl näherte sich in großen Schritten der Marke von 10000 StudentInnen an.
Das Sommersemester 1955 bescherte der Kölner Universität zwei Ereignisse von einiger Bedeutung. Zum einen entstand eine neue Fakultät, nämlich die Mathematisch-Naturwissenschaftliche, die aus der Philosophischen ausgliedert wurde. Und zum zweiten gab sich die StudentInnenschaft, damals wie selbstverständlich noch Studentenschaft genannt, eine neue Struktur. War seit den späten Vierzigerjahren ein zwanzigköpfiger Allgemeiner StudentInnenausschuss (AStA) in direkter Personenwahl als oberste Repräsentanz bestimmt worden, adaptierte man jetzt das klassische parlamentarische Modell, das bis heute existiert. Der Souverän, alle eingeschriebenen StudentInnen, gaben ihre Stimme nun für ein Parlament ab, das dann wiederum den AStA als Exekutive bestimmte.
Von Beginn bis weit in die Sechzigerjahre hinein war die Arbeit des StudentInnenparlamentes im Wesentlichen durch soziale Selbsthilfefragen geprägt. Denn gerade die Kinder aus ärmeren Familien standen vor großen Problemen, da es noch kein BAföG gab. Eine damalige SP-Sprecherin resümierte 1965, dass »in Köln ein verbilligtes Einkaufsnetz für Studenten errichtet und »Bücherbezugsscheine für bedürftige Studenten sowie Sozialdarlehen durch die Studentenschaft ausgegeben wurden. Die Darlehen gibt es bis heute, die anderen Einrichtungen sind ebenso verschwunden wie die AStA-Vertragsfahrschulen und das AStA-Reisebüro. Und auch im Detail machte man sich Gedanken über die Nutzung der sozialen Einrichtungen. Im Januar 1964 beschloss das SP eine Aktion zur »Entlastung des Mensabetriebes in den Hauptandrangszeiten: Man wollte dem »Unwesen des Stühlebelegens durch Taschen usw. zu Leibe rücken. In dieselbe Kerbe schlug ein Beschluss, der das Skatspielen im E-Raum untersagte.
In der Selbstinszenierung gab sich das SP damals unpolitisch. In Wirklichkeit spielten politische Themen durchaus eine Rolle, nur bewegten sich diese vollkommen innerhalb des Mainstreams. Kurz nach dem Mauerbau wählte der AStA-Vorsitzende vor dem Ferienausschuss des SP eindeutige Worte: »Gegen die uns allen bekannten neuerlichen Maßnahmen des Ulbrichtregimes [ ] erhebt auch die Studentenschaft der Universität zu Köln Anklage und schärfsten Protest. Wenig später erging an die städtischen Bühnen sogar die Aufforderung, Brechts Dreigroschenoper vom Spielplan zu nehmen, da man diesen DDR-Staatsdichter angesichts der aktuellen Lage keineswegs aufführen könne.
1961 wurden zur konstituierenden Sitzung des SP noch der Rektor und die Dekane erwartet. Die gewählten SP-Mitglieder wurden eindringlich zum pünktlichen Erscheinen aufgefordert, und auch das Outfit sollte stimmen: »im Straßenanzug oder sonst adäquat gekleidet« möge man sich präsentieren, hieß es in der Einladung. Das zehnjährige SP-Jubiläum brachte gar größtmögliche Prominenz mit sich: Bundespräsident, Bundestagspräsident, Kultusminister und Oberbürgermeister schickten Grußadressen, Bundeskanzler Erhard nahm höchstpersönlich am Festakt teil. Zum Fünfzigsten im nächsten Jahr ist derlei wohl kaum zu erwarten.
Die Kölner StudentInnen hatten sich an ihr Parlament gewöhnt. Bei seiner allerersten Wahl wurde zwar mit bloß elf Prozent ein bis heute gültiges Allzeitminus in der Wahlbeteiligung erreicht, in der Folgezeit stieg diese aber auf zirka fünfzig Prozent an. Ein wahrscheinlich ewiger Rekord stammt aus dem Jahr 1966, als sage und schreibe 62 Prozent der StudentInnen zur Urne schritten. Allerdings bestand auch ein hoher Anreiz, denn unter allen WählerInnen wurde ein von einem Kölner Autohaus gestifteter »rubinroter VW Käfer 1300 verlost. Unter notarieller Aufsicht zog dann - so etwas gab es damals - die »Miss Sommersemester den Gewinner.
Die Ereignisse von 1968 und den Folgejahren schlugen auch auf das SP durch: Anfang 1968 wurde erstmals ein SDS-Mitglied zum AStA-Vorsitzenden gewählt. Als geradezu »typisch kölsch sollte es sich seitdem und bis heute entpuppen, dass die politischen Mehrheiten im SP stets wechselten - schon ein halbes Jahr später kam wieder eine konservativere Richtung an die Spitze. Während in den Siebzigerjahren die StudentInnenparlamente bundesweit von sozialistischen Mehrheiten geprägt wurden, wechselte an der Kölner Universität die Mehrheit von Rechts bis Mitte-links. Zu einschneidenden Veränderungen kam es erst nach 1980, als die Eingliederung der Kölner Abteilungen der PH Rheinland die Struktur der WählerInnenschaft durcheinander wirbelte: In den Achtzigerjahren dominierten Linkskoalitionen, nach 1989/90 und der Auflösung der ostblockorientierten Gruppierungen ergab sich jedoch wieder ein munteres Wechselspiel.
Dass überhaupt politische Listen zur Wahl stehen, ist eine jüngere Entwicklung. Bis Ende der Siebzigerjahre gab es ein reines Personenwahlrecht, und dementsprechend bestanden die Wahlzeitungen lediglich aus Passbildern der einzelnen KandidatInnen - vor 1968 bei den Männern klassisch in Schlips und Kragen, danach überwiegend mit Rolli und Bart - inklusive kurzer Selbstdarstellung. Doch seit Ende der Sechzigerjahre zeichnete sich immer stärker ab, dass KandidatInnen ohne Hochschulgruppenbindung vom Wahlvolk kaum mehr Unterstützung erhielten, und vor 25 Jahren wurde das bis heute angewendete System der personalisierten Listenwahl eingeführt.
Die mit Abstand bedeutendste Entscheidung, die das StudentInnenparlament in letzter Zeit zu treffen hatte, betraf die Einführung des Semestertickets 1993. So etabliert, ja selbstverständlich das Semesterticket heute ist: Seinerzeit tobten heftige Kämpfe etwa darüber, ob ein solches Ticket rechtlich zulässig oder welcher Preis angemessen sei - man hoffte zuerst auf dreißig Mark pro Semester, der Verkehrsverbund forderte aber neunzig. Dennoch erreichte die Befragung der StudentInnen eine überwältigende Mehrheit, und so konnte das Ticket eingeführt werden.
Auch ansonsten geht es im SP meist nüchterner zu, als es manches Klischee vermuten lässt. Nahe an eine Schlägerei grenzten die Auseinandersetzungen im Parlament zuletzt 1992. Und auch die Hochschulgruppenlandschaft ist, wenn man es rein von den Fakten her nimmt, eigentlich sehr übersichtlich. Das zentrale Problem liegt eher im stetig schwindenden Einfluss der studentischen Politik auf die Gestaltung der Hochschule und ihres Umfeldes. Insbesondere die Notwendigkeit der Selbsthilfe aus der unmittelbaren Nachkriegszeit ist großenteils entfallen, und die hochgradige Politisierung der Siebziger- und Achtzigerjahre hat sich ebenfalls stark reduziert.
Die Zukunft des StudentInnenparlamentes liegt allerdings nicht in dessen eigenen Händen: Da die studentische Selbstorganisation in Hochschulgesetzen geregelt ist, könnte ein Gesetzgeber jederzeit auf den Gedanken kommen, SP und AStA in ihrer bisherigen Form ersatzlos zu streichen, wie dies etwa in Bayern und Baden-Württemberg vor zirka dreißig Jahren der Fall war. Auch die ehemalige niedersächsische SPD- und die jetzige hessische CDU-Landesregierung planten und planen Ähnliches, doch scheint sich auch bei den KritikerInnen studentischer Selbstverwaltung die Erkenntnis durchzusetzen, dass - trotz aller Skepsis und allem Desinteresse am SP - diese Struktur immer noch die beste aller möglichen darstellt.
Olaf Bartz war viele Jahre Mitglied des StudentInnenparlamentes. Zurzeit schreibt er seine Doktorarbeit.