»Eliteuniversitäten« heißt seit Januar diesen Jahres das Zauberwort fast aller BildungspolitikerInnen in Deutschland. Nach dem immer gleichen Muster »Wer Eliteausbildung will, muss auch dieses und jenes zugestehen!« wird neben Studiengebühren das Recht für die Hochschulen gefordert, selbst zu bestimmen, wie viele und welche StudentInnen sie ausbilden will. Während Gebühren langsam zu einer Selbstverständlichkeit werden, wirft dies jedoch verfassungsrechtliche Probleme auf. Hinter den Kulissen arbeitet ein Heer von JuristInnen nun bereits eifrig an deren Lösung. Auf der Strecke bleibt dabei eine Bildungspolitik, die auf eine breite und qualitativ hochwertige universitäre Ausbildung setzt.
Ende der freien Berufswahl
Beim Thema Hochschulzugang besteht seit etwa drei Jahrzehnten ein Konflikt, der jetzt offenbar kurz vor der Lösung steht. Im Kern geht es dabei um die zunehmende Relativierung des Rechtsanspruchs auf freie Wahl eines Studienplatzes, wie er traditionell durch die Allgemeine Hochschulreife garantiert ist. Das Recht auf Zulassung zum Studium soll stattdessen zunehmend auf die einzelnen Hochschulen übertragen werden. Dies ist die logische Konsequenz einer stärkeren Marktsteuerung von Bildung und Wissenschaft, in deren Rahmen laut Wissenschaftsrat der Akt der Zulassung selbst als »ein Mittel zur Förderung von Profilbildung und Wettbewerb« verstanden wird.
Schöner kann man es eigentlich nicht sagen: Die individuelle Aufnahme eines Studiums ist weder ein Recht noch Selbstzweck, sie ist ein Mittel für etwas ganz anderes: Für einen Maßstab, der außerhalb der Personen der jeweiligen BewerberInnen liegt. Dabei geht es also keineswegs um die technische Frage, wer einen Studienanspruch erteilt, ob zum Beispiel ein LehrerInnenkollegium durch ein Abschlusszeugnis oder ein Auswahlausschuss von ProfessorInnen. Die gesellschaftliche Funktion des Hochschulzugangs wird eine völlig andere. Mit Hilfe »eignungsdiagnostischer Instrumente« soll ganz offenbar die Kompatibilität der BewerberInnen mit dem spezifischen Profil der Einzelhochschule ermittelt werden, welches wiederum durch deren Stellung auf dem Bildungs- und Wissenschaftsmarkt bestimmt ist.
Im Kern geht es um die Vergabe von Studienplätzen nach ökonomischen Kriterien. Und da ist es durchaus konsequent, wenn die Heidelberger Juristische Fakultät im Sommer 2002 ihre StudienanfängerInnenplätze über Tests verteilen ließ, die von 16 PsychologInnen der Münchener Unternehmensberatungsfirma Intelligenz System Transfer durchgeführt wurden. Mit dem traditionellen Verständnis eines Rechtsanspruchs auf Bildungsbeteiligung ist dies allerdings unvereinbar. Daher muss in starkem Maße aktuell geltendes Recht verändert und die gültige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes umgangen werden, welche bisher - und maßgeblich im so genannten NC-Urteil von 1972 - dem staatsbürgerlichen Zugangsanspruch gemäß Grundgesetz (»freie Berufswahl«) den Vorrang vor sekundären Auswahlkriterien einräumte. Zu diesem Zweck haben Bund und Länder aktuell eine Arbeitsgruppe eingesetzt, welche den juristischen Handlungsbedarf ausloten soll.
Sparen bei vielen für wenige
Mit der bloßen Selbstauswahl von StudienanfängerInnen durch die Fachbereiche ist allerdings noch keine Elitenförderpolitik möglich. Das ist lediglich eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung. Das bildungsökonomische Äquivalent aller elitepolitischen Differenzierungskonzepte ist das strategische Ziel einer ungleichen Verteilung finanzieller Ressourcen. Dies ist dann plausibel, wenn man sich vor Augen führt, dass in Harvard ein Professor oder eine Professorin zirka fünf StudentInnen betreut, wohingegen hierzulande die Relation im Durchschnitt 1:58,4 beträgt. Wie löst man also einen Zielkonflikt, den die Hochschulrektorenkonferenz wie folgt beschreibt: »Das politische Ziel einer weiteren Steigerung der Studierendenquote bei zurückgehenden Personalressourcen ist mit dem Qualitätsanspruch unvereinbar.« Eine mögliche Antwort könnte lauten: Man reserviert den »Qualitätsanspruch« für eine Minderheit von StudentInnen und senkt ihn gleichzeitig für die Masse ab.
So einfach ist das allerdings nicht umzusetzen. Selbst wenn etwa eine Hochschule schließlich das Recht erlangen würde, sich irgendwann alle StudienanfängerInnen selbst auszuwählen, wäre ihr nach geltender Rechtslage immer noch vorgeschrieben, wie viele sie aufnehmen müsste. Hierauf zielt die Forderung »Abschaffung der Kapazitätsverordnung!« ab. Man sieht es dieser Forderung in ihrer technokratischen Blässe und Beiläufigkeit nicht an, dass gerade dieser Ansatz der entscheidende Hebel zur Umwälzung des Hochschulsystems, wie es sich in den letzten dreißig Jahren entwickelt hat, sein könnte.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es unzulässig, wenn ein Fachbereich entscheidet, im kommenden Semester nur halb so viel StudienanfängerInnen aufzunehmen wie das gleiche Studienfach mit dem gleichen Personalbestand an der Nachbaruniversität. Das deutsche Kapazitätsrecht zwingt die öffentlichen Hochschulen, ihre Ressourcen maximal auszulasten. Es ist eine direkte Konsequenz des bereits erwähnten Bundesverfassungsgerichtsurteils, welches auch besagt, dass Fachbereiche ihre Kapazitäten optimal ausschöpfen müssen, bevor sekundäre Verteilungsverfahren, wie zum Beispiel der Notendurchschnitt und die Warteliste, das primäre Recht auf freie Wahl des Studienplatzes einschränken.
Wie das Verfassungsgericht umschiffen?
Zurzeit werden verschiedene Szenarien erprobt, diesem juristisch-politischen Dilemma zu entkommen. Der Wissenschaftsrat - immerhin das einflussreichste Koordinationsgremium der Wissenschaftsplanung zwischen Bund, Ländern und führenden Wissenschaftsverbänden - macht einen terminologisch interessanten Vorschlag: Wenn in einem Studienfach bundesweit »ein hinreichendes und allgemein zugängliches Angebot an Studienplätzen vorhanden ist«, könnten einzelne Abteilungen durch Definition spezifischer Profile und Aufgabenschwerpunkte die Zulassungszahlen einschränken. Und dies lässt sich noch genauer ausführen: »Beispielsweise könnte an einer Hochschule in einem bestimmten Studiengang stark forschungsorientierte Lehre nur einem kleinen Kreis an Studierenden zugänglich sein, während an einer anderen Hochschule der freie Zugang zu einem ähnlichen Studienangebot als Wettbewerbsvorteil in Anspruch genommen wird.« So möchte der Wissenschaftsrat der Politik ausdrücklich aus einer Legitimationsklemme heraushelfen. In der geschilderten Form könnte nämlich der »Zielkonflikt« ausgeglichen werden, »der zwischen der Forderung nach Profilierung durch die Auswahl der besten Studienanfänger und der Forderung nach Erhöhung der Absolventenzahlen durch möglichst hohe Bildungsbeteiligung der jungen Generation auftreten kann.«
Diese hochschulpolitischen Szenarien sind alle nicht neu und werden von den immer gleichen AkteurInnen seit den Sechzigerjahren vertreten. Bisher hat das jedoch nie so richtig geklappt. Offenbar soll jetzt eine spezifische Kombination aus Senkung der Staatsausgaben und Verschärfung des internationalen Wettbewerbs - der einen akademischen Wanderungsdruck auslöst und die Konkurrenz mit Harvard quasi auf Augenhöhe herstellt - die Lösung näher bringen. Dazu müssten freilich noch einige Widerstände überwunden werden. Wer hier politischen Widerstand leisten will, sollte sich allerdings nicht auf die juristische Ebene allein verlassen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die wirklichen politischen Optionen und Konflikte, jenseits des ideologischen Nebelschleiers, der sie üblicherweise umgibt, öffentlich besser und polarisierter sichtbar würden.
Torsten Bultmann ist Bundesgeschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (BdWi).